Calvin und die nackten Kinder
Marcel Alexander Niggli
43 Letztes Jahr hat der Ständerat eine Motion angenommen, nach welcher der gewerbsmässige Handel mit Nacktaufnahmen von Kindern unter Strafe gestellt werden soll. Dies mit der Begründung, Pädophile nutzten die «Grauzone», in der sich diese Bilder befänden. Wir fragen uns, welche Grauzone?
«Kalvinisten!» schimpfte er. «Ich wundere mich, dass Hitler nicht aus Holland kam.»
Die Abbildung eines nackten Menschen (auch eines Erwachsenen) ist nach bundesgerichtlicher Praxis selbst dann schon pornographisch, wenn keine primären Geschlechtsorgane zu sehen sind. Es reicht ein lasziver Blick des Abgebildeten. Wo also, um Himmels Willen, wäre da Platz für eine Grauzone? Mit Wehmut erinnern wir uns an Joseph Roth, einen der grössten Schriftsteller deutscher Sprache, von dem – es waren die 30er Jahre und Roth als Jude bereits in Holland im Exil – Folgendes berichtet wird:
«Diese Kalvinisten sind wohl das rückständigste Volk der Erde.»
Dann erzählte er uns empört die Geschichte von einem seiner holländischen Freunde, dessen Gärtner, der seit zehn Jahren für Roths Freund arbeitete, plötzlich gekündigt hatte. »Kurz vorher hat er noch im Garten für die Kleinkinder des Hausherrn ein Schwimmbecken gegraben, und jetzt hat er gekündigt, weil es sein moralisches Empfinden stört, nackte Kinder unzüchtig im Wasser herumplanschen zu sehen.
«Kalvinisten!« schimpfte er. »Ich wundre mich, dass Hitler nicht aus Holland kam.»
Soweit der Bericht von Geza von Cziffra, in seinem schönen Erinnerungsbuch: Der heilige Trinker. Erinnerungen an Joseph Roth [erstmals 1983], Berlin 2006, 108. Wir fragen uns demnach, ob die Initianten solch hysterischer Initiativen vielleicht dem calvinistischen oder zwinglianischen Milieu entsprungen sind. Für uns Übrigen nämlich ist ein nacktes Kind einfach nur ein nacktes Kind.