Sexistische Gesetzgebung
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6 Unterscheidungen sind wichtig. Ohne Unterscheidungen können wir die Welt nicht verstehen, ja nicht einmal wahrnehmen. Jeder Begriff ist eine Unterscheidung. Und jede Unterscheidung diskriminiert, denn diskriminieren heisst unterscheiden. Dass wir das trotzdem nicht so bezeichnen, sondern «Unterscheiden» und «Diskriminieren» unterschiedlich verwenden, ist selbst eine Unterscheidung. Wir bezeichnen eine Unterscheidung nur dann als Diskriminierung, wenn sie auf einem «sachfremden» Kriterium beruht, das wir ablehnen, weshalb wir auch die Unterscheidung ablehnen. Es gibt also gute Unterscheidungen und schlechte Unterscheidungen. Eine gute Unterscheidung ist etwa die von Demokratie und Populismus, weil sie allen erlaubt, den jeweils anderen zu diskreditieren. Die Unterscheidung von Mann und Frau hingegen ist in jüngerer Zeit scheinbar umfassend in Verruf geraten. Zumindest von einigen wird sie als reine soziale Konstruktion empfunden, die sozial inadäquat ist. Das mag stimmen, was das soziale Geschlecht betrifft. Das Problem besteht indes darin, dass hinter der Unterscheidung gewisse biologische Bedingungen stehen. Darauf aber nur schon zu verweisen, ist in jüngster Zeit höchst riskant geworden: Zu nennen wäre etwa das notorische Google-Paper von James Damore oder die Erfahrungen des Mathematikers Theodore P. Hill, dessen bereits akzeptiertes und veröffentlichtes Paper sang- und klanglos wieder verschwand). Die Unterscheidung von Mann und Frau beeinflusst, wenn auch in nicht unbedingt glücklichster Weise, auch die Gesetzgebung.
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Den Bundesrat etwa stört, dass das Strafgesetzbuch nicht geschlechtsneutral formuliert sei. Ob man für Geschlechtsneutralität unbedingt im Strafgesetzbuch beginnen muss, wo doch über 80 Prozent aller Delikte von Männern begangen werden, kann man bezweifeln. Und auch, ob man für die Geschlechtsneutralität unbedingt bei den Sexualdelikten ansetzen muss, also einem Verhalten, das – aller politischen Korrektheit zum Trotz – biologisch bedingt eben recht viel mit Geschlechtern zu tun hat. Aber den Gesetzgeber stört es nun einmal. Der Bundesrat nämlich ist nicht Vorreiter, sondern Getriebener. Lange hat er die Bastion der Vernunft gegen ihre Angreifer verteidigt. Nun hat er aufgegeben und folgt brav der Genfer Position. Der dortige FDP-Nationalrat und Architekt Hugues Hiltpold hatte 2013 und erneut 2014 parlamentarische Vorstösse unternommen, kurz zuvor hatte der Kanton Genf eine weitgehend identische Standesinitiative eingereicht. Angesichts dieser Abläufe kann man sich schon fragen, ob es wirklich ausreicht, offensichtlich nicht Durchdachtes nur genügend oft zu wiederholen, um damit erfolgreich zu sein. 2015 nämlich gaben die Rechtskommissionen von Stände- und Nationalrat der Standesinitiative Folge. Und diese Vorstösse nun wurden in die wirre Totalrevision des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuch überführt, wahrscheinlich in der Hoffnung, man bemerke deren eklatante Schwächen im Umfeld anderer unausgegorener Revisionsvorschläge nicht, und zwar schlicht infolge ihrer Quantität: Die verharmlosend und täuschend als Harmonisierung der Strafrahmen bezeichnete Vorlage 7 (BBl 2018, 2959 ff.) will über 190 Straftatbestände im Strafgesetzbuch und nochmals 80 im Nebenstrafrecht ändern und zwar alle gleichzeitig und eben – anders als der Name suggeriert – gerade nicht nur hinsichtlich des Strafmasses. Alleine schon die Idee, über 250 Straftatbestände gleichzeitig ändern zu wollen und – es sei nochmals wiederholt – bei weitem nicht nur deren Strafmasse, spricht jeder sorgfältigen Gesetzgebung Hohn. Wie eine korrekte Vernehmlassung hierzu überhaupt möglich sein sollte, bleibt unerklärlich. Dass hier Demokratie als Schauspiel aufgeführt wird, lässt sich schwer bestreiten. Nicht dieses Vorhaben, sondern eben nur ein darin verpacktes bzw. verstecktes soll uns nachfolgend beschäftigen.
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Das Strafgesetzbuch also sei nicht geschlechtsneutral formuliert. Das stimmt. Der Tatbestand der Vergewaltigung nämlich lautet: «Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt […].» Diese Beschränkung auf die Frauen als Opfer bewirkt v. a. eines: Dass eine Frau sich nicht wegen Vergewaltigung strafbar machen kann. Zwar kann der Beischlaf natürlich auch von einer Frau erzwungen werden. Doch beschränkt Art. 190 StGB mit dem Adjektiv «weiblich» die Strafbarkeit eben auf Frauen als Opfer und damit Männer als Täter. «Beischlaf» nämlich bezeichnet diejenige Form des Sexualkontaktes, bei der Kinder gezeugt werden können, also Penetration des weiblichen durch das männliche Geschlechtsteil. Und nur dies. Der Begriff ist essentiell heterosexuell. Denn gleichgeschlechtliche Kontakte produzieren keine Kinder. Aus biologischen, nicht aus rechtlichen Gründen kann eine Frau deshalb eine andere Frau nicht zum Beischlaf zwingen, und damit auch nicht vergewaltigen. Aus den gleichen Gründen kann auch ein Mann einen anderen Mann nicht zum Beischlaf zwingen und deshalb nicht vergewaltigen. Alle anderen Formen des Sexualkontaktes, gleichgültig ob hetero- oder homosexuell, sind geschlechtsneutral formuliert und alle auch unabhängig vom Geschlecht mit der gleichen Strafe bedroht (als «sexuelle Nötigung» nach Art. 189 StGB oder als «Schändung» nach Art. 191 StGB; dass Art. 189 StGB eine tiefere Mindeststrafe als Art. 190 kennt, liegt nicht an der Art des Sexualkontaktes, sondern daran, dass die Bestimmung auch «andere», also geringere Handlungen erfasst. Das Strafmass ist bei Penetrationen dasselbe wie bei der Vergewaltigung). Weil «Beischlaf» eine spezifische Form des heterosexuellen Sexualkontaktes bezeichnet, die Strafbarkeit aber auf Männer beschränkt wird, ergibt sich, dass eine Frau, die einen Mann zum Beischlaf nötigt, straflos bleibt.
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Der Tatbestand soll also geschlechtsneutral formuliert werden. Der unschuldige Leser nimmt nun möglicherweise an, dass angestrebt wird, die eben erwähnte, einzige bisher straflose Variante erzwungenen Sexualverkehrs den anderen gleichzustellen, was sich ja sogar ausserordentlich leicht bewerkstelligen lässt. Spricht die Botschaft: «Mit der Motion Hiltpold wird der Bundesrat beauftragt, die Definition von ‹Vergewaltigung› dergestalt auszuweiten, dass jede erzwungene sexuelle Penetration, unabhängig vom Geschlecht des Opfers oder des Täters, erfasst wird.» Genau das wird erreicht durch die Streichung des Adjektivs «weiblich». Damit nämlich wird jede mögliche und vorstellbare Variante von erzwungenem Sexualkontakt unabhängig vom Geschlecht mit denselben Strafen bedroht. Doch geschieht dies gerade nicht. Weit gefehlt! Die gegenwärtige Straflosigkeit eines durch eine Frau erzwungenen Beischlafes wird nicht erwähnt (natürlich auch nicht in den drei Genfer Vorstössen). Frauen als Täterinnen scheinen nicht zu existieren, soweit es nicht bloss um Bezeichnungen geht. Nur einmal tauchen sie auf: Die Streichung des Adjektivs «weiblich» führe dazu, «dass auch Nötigung eines Mannes zum Beischlaf unter die strengere Strafandrohung» falle, ganz so als wäre der durch eine Frau erzwungene Beischlaf heute bereits strafbar. Fehlvorstellungen vom geltenden Recht sind üblicherweise keine gute Ausgangslage für Revisionen. So auch hier: Dass die 8 simple Streichung des Adjektivs «weiblich» die vorgeblichen Ziele unkompliziert und vollständig erreicht hätte, wird womöglich nicht einmal erkannt, jedenfalls aber nicht erwähnt. Vielmehr soll der Vergewaltigungstatbestand vom erzwungenen Beischlaf auf die «beischlafsähnlichen Handlungen» erweitert werden. Der vorgeschlagene Art. 190 Abs. 1 StGB lautet: «Wer eine Person zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder einer beischlafsähnlichen Handlung, insbesondere einer solchen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren bestraft.» Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs allerdings ist überhaupt nicht nötig für die angestrebte Geschlechtsneutralität – ebensowenig natürlich wie die verdoppelte Mindeststrafe. Die Unterscheidung von Mann und Frau, die als Begründung vorgebracht wird, kann für all das nicht massgeblich sein.
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Verschiedene Formen sexueller Gewalt verletzen laut Bundesrat «das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person gleich stark oder noch stärker […] als der erzwungene Beischlaf, auch wenn dieser mit dem Risiko einer ungewollten Schwangerschaft behaftet sein mag». Nicht ohne Weiteres einsichtig ist dabei allerdings, was genau das sein könnte. Doch der Bundesrat erläutert sogleich: «Das Opfer werde durch anale oder orale Penetrationen oder sadistische Handlungen vielfach stärker traumatisiert als durch eine vaginale Penetration.» Einigermassen erstaunlich erscheint, dass die Traumatisierung des Opfers hier angeführt wird. Vergewaltigung ist ein Tätigkeitsdelikt. Ein Erfolg, wie z. B. die Traumatisierung des Opfers, ist für die Strafbarkeit irrelevant, angeknüpft werden muss an der Handlung bzw. deren Unwert. Dennoch bzw. gerade deshalb erstaunt, dass in einem Atemzug auch sadistische Handlungen zur Begründung der Revisionsnotwendigkeit erwähnt werden. Handlungen, die nicht zum Erzwingen des Beischlafes notwendig sind, führen zur Anwendung von Art. 190 Abs. 3 StGB, stellen daher eine sog. qualifizierte Vergewaltigung dar, deren Mindeststrafe 3 Jahre beträgt – analog sieht auch Art. 189 StGB eine solche Qualifikation vor. Versucht man diesem Wirrwarr von Merkwürdigkeiten einen Sinn abzugewinnen, so scheint er darin zu bestehen, dass eine Unterscheidung verschiedener Arten von Penetration nicht adäquat sei. Ob also eine Penetration zu einer Schwangerschaft führen kann oder nicht, soll nicht (mehr) relevant sein.
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Das lässt sich natürlich mit guten Gründen vertreten. Es sei für die historische Herkunft dieser Unterscheidung vielleicht erwähnt, dass die Schweiz als armes Bauernland v. a. die Entstehung illegitimer Kinder fürchtete, für die niemand anderer als das Gemeinwesen zuständig sein könnte, für die also die Allgemeinheit aufzukommen hatte. Erinnert sei daran, dass der Beischlaf damals mit Freiheitsstrafe bis zu 20 Jahren bestraft wurde, also gleich streng wie eine Tötung, während alle anderen Formen sexueller Handlungen deutlich milder bestraft wurden. Deutlich wird das beim Inzest (Art. 213 StGB), also dem Sexualverkehr unter volljährigen Verwandten in auf- und absteigender Linie sowie Geschwistern: Nur der Beischlaf wird hier mit Strafe bedroht, also nur derjenige Sexualkontakt, der eine Schwangerschaft auslösen könnte, was dann unter Umständen eine wirtschaftliche Belastung des Gemeinwesens bedeuten könnte. Man kann heute – angesichts der veränderten finanziellen Verhältnisse und der Möglichkeiten der Empfängnisverhütung – die Unterscheidung von Penetrationen, die ein Schwangerschaftsrisiko tragen und solchen, bei denen dies nicht zutrifft, also durchaus ablehnen. Erwähnt sei immerhin, dass die Unterscheidung nicht so veraltet ist, wie es scheinen mag. In vielen Rechtsordnungen, insbesondere im angelsächsischen Raum wird auch in der jüngeren Gesetzgebung nach der Art der Penetration unterschieden (entweder nach Körperöffnung [so etwa New York Penal Code, der im Tatbestand rape einzig 9 «sexual intercourse with another person», im Tatbestand criminal sexual act hingegen «oral sexual conduct or anal sexual conduct with another person» erfasst, vgl. sections 130.25 ff.] oder nach dem Mittel der Penetration [Vereinigtes Königreich, Sexual Offences Act 2003]). Wenn man die Unterscheidung nach dem abstrakten Schwangerschaftsrisiko aufgeben will, so ist dies sehr einfach dadurch erreicht, dass statt auf den Begriff des «Beischlafs» auf denjenigen der Penetration abgestellt wird. Das liesse sich einschränken auf sexuelle Penetration (so etwa Frankreich oder Belgien) oder – analog Grossbritannien – dadurch, dass die drei Körperöffnungen ausdrücklich erwähnt werden (die englische Variante erscheint als die Präziseste: «Vergewaltigung begeht, wer vorsätzlich Vagina, Anus oder Mund einer anderen Person mit seinem Penis penetriert, ohne dass diese Person zustimmt und ohne dass der Täter vernünftigerweise anderes glauben konnte.» Sexuelle Penetration derselben Körperöffnungen mit anderen Körperteilen oder Gegenständen ist hingegen «assault by penetration»).
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Zur Erinnerung: Der Begriff der «beischlafsähnlichen Handlung» bzw. der Passus «zum Beischlaf oder zu einer ähnlichen Handlung» findet sich – anders als die Botschaft missverständlich formuliert – nicht erst seit der Revision des Sexualstrafrechtes 1992, sondern schon seit seinem Inkrafttreten im StGB. Allerdings in einem einzigen Tatbestand, nämlich dem damaligen aArt. 191 StGB (Unzucht mit Kindern). Während alle übrigen Straftatbestände damals eine Zweiteilung vornahmen (Beischlaf/andere sexuelle Handlungen), wurde bei Kindern zwischen Beischlaf und ähnlichen Handlungen einerseits, und anderen sexuellen Handlungen andererseits unterschieden. Erkennbar wird daran, dass bei Kindern – und nur bei ihnen! – die Möglichkeit einer ungewollten Schwangerschaft in den Hintergrund trat gegenüber dem Gedanken des Kindesschutzes. Mit den «ähnlichen Handlungen» sollten primär Penetrationen anderer Körperöffnungen als der Vagina erfasst werden, die bei Kindern – und nur bei ihnen! – als gleich schwer eingeschätzt wurden. Gerade diese Beschränkung auf die Kinder zeigt, dass es dem Gesetzgeber von 1942 beim Begriff des Beischlafes bzw. der Unterscheidung derjenigen sexuellen Handlungen, die eine Schwangerschaft auslösen können (Beischlaf), und allen anderen Formen, die dies nicht können, gerade nicht um die Unterscheidung nach Geschlecht oder nach sexueller Präferenz oder Orientierung ging. Soll dasselbe ausserhalb des Kindesschutzes erreicht werden, so würde das Abstellen auf den Begriff der Penetration eine Unterscheidung nach dem Kriterium einer möglichen Schwangerschaft aufgeben. Und gerade dies ist doch vorgeblich das Ziel des Gesetzgebers. Dennoch schlägt er nicht dies vor. Auch die Abschaffung dieser Unterscheidung kann also nicht sein Ziel sein.
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Vielleicht, so denkt sich der Unbefangene, könnte es ja an den irrwitzigen Argumenten von Nationalrat Hiltpold liegen, die der Bundesrat zitiert. Danach müsse «auch Männern, Homo- und Bisexuellen wie auch Transgendern der Status eines Opfers von Vergewaltigung gegeben und ihr Trauma […] rechtlich anerkannt werden». Das klingt ganz so, als ob es eine Respektlosigkeit wäre, Opfer einer sexuellen Nötigung nicht «Vergewaltigungsopfer» zu nennen, als ob eine Verurteilung des Täters wegen Art. 189 StGB statt Art. 190 StGB das Opfer desavouieren würde. Und gilt das wohl auch für die Opfer einer Schändung, fragt man sich. Natürlich ist es nicht die Funktion von Straftatbeständen, Opfern irgendeinen Status zu geben oder ihr Trauma rechtlich anzuerkennen. Straftatbestände sind ausgerichtet auf die Bestrafung der Täter. Essentielles Ziel der Vorlage wäre dann ein Kosmetisches, Rhetorisches oder Symbolisch-Metaphorisches. Das kann man natürlich anstreben, obwohl es sich mit einem rational-aufgeklärten Strafrecht kaum verträgt. Aber selbst wenn man dies täte, und darin das angestrebte Ziel erkennen wollte, würde es mit der Verwendung des Begriffes «sexuelle Penet- 10 ration» (anstelle des Beischlafes) vollumfänglich erreicht. Aber auch dies geschieht nicht. Auch die Abschaffung der Unterscheidung verschiedener Arten von Penetration und damit deren unterschiedliche Bezeichnung kann also offenbar nicht das Ziel der Vorlage sein.
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Statt eine dieser einfachen, klaren und effektiven Optionen wählt der Bundesrat einen umfassenden, höchst unklaren und gefährlichen Weg. Er will nämlich die «beischlafsähnlichen Handlungen» vom Tatbestand der sexuellen Nötigung (Art. 189 StGB) in denjenigen der Vergewaltigung (Art. 190 StGB) verschieben. Das wäre an sich kein Problem, wenn die «beischlafsähnliche Handlung» halbwegs klare Konturen hätte, also eben z. B. andere Penetrationen. Das aber ist – nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung dazu – inzwischen gerade nicht mehr der Fall. Unglücklicherweise subsumiert die Rechtsprechung auch sexuelle Handlungen, die überhaupt keine Penetrationen darstellen, darunter. Als Beispiele wurden immer wieder der Verkehr «inter femora» (also der sog. Oberschenkelverkehr) genannt. Wenn aber der Begriff auch die «Penetration» nicht nur natürlicher, sondern auch künstlich gebildeter Körperöffnungen bezeichnen kann, so stellt sich die Frage des Oberarmverkehrs und natürlich jeder manuellen Befriedigung. Die Botschaft (BBl 2018, 2875) selbst gibt zu, dass der Begriff unscharf sei und verweist auf die Rechtsprechung, die das in der Zukunft klären solle: «Welche weiteren sexuellen Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, erfasst werden oder nicht, muss die Rechtsprechung im Einzelfall bestimmen. Neben den soeben erwähnten Tathandlungen sind weitere beischlafsähnliche Handlungen denkbar, die nicht mit einem Eindringen in den Körper einhergehen (…). Auch hier wird die Rechtsprechung im Einzelfall bestimmen müssen, welche Tathandlungen von Artikel 190 erfasst werden.» Mit anderen Worten, der Gesetzgeber tut schlicht seine Arbeit nicht. Die Botschaft verweist sehenden Auges auf diese Unklarheiten und Schwierigkeiten, will aber den Begriff dennoch aus einer Norm (sexuelle Nötigung) in eine andere (Vergewaltigung) verschieben und gleichzeitig (!) deren Mindeststrafe auf 2 Jahre anheben. Dass ein Gesetzgeber derart schamlos gegen die eigenen Vorgaben verstösst, ist schon erschreckend. Art. 1 StGB statuiert deutlich, dass «eine Strafe oder Massnahme […] nur wegen einer Tat verhängt werden [darf], die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt». Sollte dieses Vorhaben gelingen, so werden also zukünftig die Gerichte entscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten eine Mindeststrafe von 2 Jahren kennt. Das sollen sie aber nicht nach gesetzgeberisch bestimmten Kriterien, sondern nach ihrem Rechtsgefühl tun, nämlich danach entscheiden, ob sie eine bestimmte Handlung als ähnlich gravierend empfinden wie einen erzwungenen Beischlaf. Die Botschaft (a. a. O.) denkt dabei etwa an «das Stimulieren der Vagina oder des Glieds durch Zunge oder Lippen», also keineswegs nur Penetrationen von tatsächlichen oder künstlichen Körperöffnungen, sondern auch weitere sexuelle Handlungen. Dabei gibt sie nur Beispiele vor, nicht aber objektiv feststellbare Merkmale, die eine vorhersehbare Unterscheidung ähnlich/unähnlich erlauben würden. Wir erhöhen die Unklarheit, dafür aber auch die Mindeststrafe. Das war sicherlich nicht die Idee von Paul Johann Anselm von Feuerbach, als er das Bestimmtheitsgebot ersann.
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Was könnte also Ziel und Zweck eines solchen Vorgehens sein? Nochmals: Sofern die Unterscheidung nach Geschlecht aufgegeben werden sollte, ist das leicht erreicht durch Streichung des Adjektives «weiblich». Das aber geht zulasten der Frauen, die neu als Täterinnen in Frage kommen; ein Vorteil für nichtweibliche Opfer, der über blosse Begrifflichkeiten hinausginge, ist nicht erkennbar. Soll auch die Unterscheidung nach Schwangerschaftsrisiko aufgegeben werden, wird das leicht erreicht durch Verwendung des Begriffes «Penetration». Damit wird nicht mehr nach Körperöffnung unterschieden und ein «Trauma» der Homosexuellen demjenigen der Heterosexuellen gleichgestellt. Zur Erreichung der angeblichen Ziele würde 11 das genügen, eine Verknüpfung anderer beischlafsähnlicher Handlungen mit einer signifikanten Mindeststrafe von zwei Jahren ist dafür nicht nötig. Warum wird also ein rechtsstaatlich höchst bedenkliches Vorgehen, das gleichzeitig Strafmass und Unklarheiten erhöht, klaren und einfachen Lösungen vorgezogen? Offenbar soll schlicht das Sexualstrafrecht verschärft werden, und zwar auf eine für den Gesetzgeber effiziente Weise: Er kann Verschärfungsbestrebungen vorweisen, wodurch er sich in der Abstraktion (und unbehelligt durch allfällige Erkenntnisse der Kriminologie) als Beschützer der Opfer inszenieren kann, während er gleichzeitig aber seine eigentliche Arbeit, die Konkretisierung des strafbaren Verhaltens, also die tatbestandsmässige Vertypung, den Gerichten überlässt. Dabei ist es nicht schwer vorzustellen und wäre auch nicht neu, dass Gerichte Mindeststrafen, die sie im konkreten Einzelfall als stossend empfinden, durch entsprechende Auslegung des materiellen Rechts zu «korrigieren» wissen – hier also angesichts der Mindeststrafe den Begriff der beischlafsähnlichen Handlung inskünftig restriktiver handhaben als bisher. Ob das geschehen wird, wird sich zeigen. Doch selbst das wäre für den Gesetzgeber kein Schaden, sondern vielmehr Gelegenheit zu neuerlicher Inszenierung und Justizschelte.
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Warum der ganze Aufstand? Weshalb die Aufregung? Nun, weil ein Gesetzgeber, der dergestalt vorgeht, der seine Rolle in einem System der geteilten Gewalten – auch wieder so eine Unterscheidung, die uns lange Zeit bedeutsam schien – nicht wahrnimmt, unsere Freiheit bedroht, uns alle Freiheit entzieht. Franz von Liszt hatte einst treffend bemerkt, das Strafgesetzbuch sei die Magna Charta des Verbrechers, will sagen: das Strafgesetzbuch ist die Freiheitsurkunde des Rechtsbrechers – aber freilich nicht nur des Verbrechers, sondern von uns allen. Was nicht ausdrücklich mit Strafe bedroht wird, ist erlaubt. Den Regulierungsfetischisten sei es in ihr Poesiealbum geschrieben: In einem Rechtsstaat ist das Leben eine einzige riesige Strafbarkeitslücke. Fast nichts von dem, was strafbar sein könnte, ist es auch. Gottseidank. Denn Strafrecht bedroht nur ganz spezifische, genau umschriebene Verhaltensweisen mit Strafe. Es trägt, wie es heisst, fragmentarischen Charakter. Diese Freiheitsfunktion aber kann das Strafrecht nur erfüllen, wenn es so präzise und scharf formuliert ist, dass die Unterscheidung von strafbarem und straflosem Verhalten für jeden deutlich erkennbar ist. Und zwar bevor ein Gericht es entschieden hat. So ist immerhin erfreulich, dass der Gesetzgeber in Art. 189 StGB nebst der «Duldung» nun auch die «Vornahme» von sexuellen Handlungen im Tatbestand erwähnen will – ein vormaliges Versäumnis, welches das Bundesgericht bekanntlich zu einem, nennen wir es mal extensiven, Verständnis von Art. 1 StGB genötigt hat (BGE 127 IV 198). Warum nach dem genannten Entscheid allerdings mehr als 17 Jahre vergehen mussten, obwohl das Gericht ausdrücklich festhielt, der Gesetzgeber solle sein Versehen bei Gelegenheit korrigieren, bleibt unerfindlich. Dieselbe Klarheit wie bei der Frage strafbar/straflos muss gelten, wo – wie eben in der nun vorgeschlagenen Revision des Vergewaltigungstatbestands – der Gesetzgeber verschiedene Schweregrade strafbaren Verhaltens zu normieren und mit erheblichen Unterschieden in den Strafrahmen zu versehen sucht. Das hat keineswegs etwas mit einer kriminalpolitischen Diskussion über den Unwertgehalt dieser oder jener Handlung zu tun, worüber endlos gestritten werden könnte. Vielmehr gilt: Unklare Unterscheidungen betreffen uns alle, wenn daran gravierende Folgen geknüpft sind. Nicht jede Unterscheidung ist für jeden sinnvoll. Mündigkeit und Autonomie bestehen auch und gerade darin, selbst zu bestimmen, welche Unterscheidungen getroffen werden sollen, und nicht einfach diejenigen zu übernehmen, die andere treffen, weil sie gerade üblich, en vogue oder hip sind. Unterscheidungen sollten Sinn ergeben für denjenigen, der sie trifft. Und sie sollten wenn immer möglich einfach und nachvollziehbar sein, damit sie andere auch nachvollziehen können. Dazu aber müssen wir deutlich machen, welche 12 Unterscheidungen wir treffen. Und wenn wir sie gar im Gesetz verwenden, sollten sie so klar und scharf wie möglich sein. Jede Unterscheidung, die diesen Anforderungen nicht genügt, ist de facto eine Delegation der eigenen Entscheidung an einen Anderen, sprich ein Abtreten und Aufgeben der Autonomie.
Die Redaktion
Freiburg, im Herbst 18