Höchstrichterlicher Schabernack beim FINMAG-Berufsverbot 2
Marcel Alexander Niggli
Das Bundesgericht zitiert (BGE 142 II 243, 253 f.)
«Nicht in Abrede zu stellen ist, dass selbst ein zeitlich befristetes Berufsausübungsverbot die freie Berufswahl des vom Verbot Betroffenen empfindlich zu tangieren vermag; diese Verringerung der Berufswahlmöglichkeiten qualifiziert jedoch hinsichtlich ihrer Art und Schwere vorab als eine polizeirechtlich motivierte und zeitlich limitierte Einschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 in Verbindung mit Art. 36 BV; BGE 135 I 130 E. 4.2 S. 135; BGE 130 I 26 E. 4.1 S. 40 f.) und nicht als eine Vergeltung begangenen Unrechts (Urteil des EGMR vom 19. Februar 2013 Müller-Hartburg gegen Österreich [Nr. 47195/06], § 48; Urteile 2C_344/2007 vom 22. Mai 2008 E. 1.3; 2C_407/2008 vom 23. Oktober 2008 E. 3.5 …[bis auf Uhlmann ist übrigens die gesamte zitierte Lehre anderer Ansicht]). Unter diesem Aspekt erweist sich das von der FINMA gegen bei einer Beaufsichtigten in leitender Stellung tätige Personen verhängte Berufsverbot gemäss Art. 33 FINMAG als identisch mit einem zeitlich beschränkten Berufsausübungsverbot, welches die Aufsichtskommission aus Gründen des Publikumsschutzes und zur Wahrung von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr (BGE 139 II 173 E. 1 S. 179; BGE 125 I 417 E. 5a S. 426; BGE 123 I 12 E. 2c/aa S. 16 f.) als Disziplinarmassnahme gegen eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt aussprechen kann (Art. 17 Abs. 1 lit. d BGFA [SR 935.61]), und unterscheidet sich substantiell von Sanktionen, welche unter Einschränkung der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) die Sicherstellung eines Anstaltsbetriebs bzw. die Aufrechterhaltung einer Hausordnung bezwecken (jedoch ebenfalls als Disziplinarmassnahmen qualifizieren, BGE 125 I 104 E. 3 S. 109 ff.).»
62 Liest man das, so gewinnt man wohl den Eindruck, ein Berufsverbot sei gemäss der Praxis des Bundesgerichtes eine polizeirechtlich motivierte Disziplinarmassnahme und keine Strafe. Was aber sagen die zitierten Entscheide bzw. die angeführten Passagen tatsächlich?
BGE 135 I 130 E. 4.2 S. 135
« 4.2 Il n’est ni allégué ni démontré que l’art. 26 de la Constitution neuchâteloise aurait une portée plus large que l’art. 27 Cst., de sorte que le grief soulevé doit être examiné exclusivement à la lumière de cette dernière disposition. Selon l’art. 27 al. 1 Cst., la liberté économique est garantie. Elle comprend notamment le libre choix de la profession, le libre accès à une activité économique lucrative privée et son libre exercice (art. 27 al. 2 Cst.). Cette liberté protège toute activité économique privée, exercée à titre professionnel et tendant à la production d’un gain ou d’un revenu (…). Elle peut être invoquée tant par les personnes physiques que par les 63 personnes morales (…). Le Tribunal fédéral a eu l’occasion de se prononcer sur la question de savoir si des mesures fiscales constituent une restriction de la liberté économique. A la différence de l’interdiction d’exercer une activité économique ou du fait de la soumettre à autorisation, le prélèvement de contributions ne constitue pas une restriction juridique, mais il peut de fait influer sur l’exercice de la liberté économique. Toute mesure ayant une incidence sur la liberté en question ne constitue toutefois pas une limitation de celle-ci et il y a lieu de se montrer restrictif pour admettre l’existence d’une telle limitation (…). Il faut au demeurant distinguer selon le type de contribution en cause. Les impôts spéciaux (Gewerbesteuern) ne sont admissibles au regard de la liberté économique que pour autant qu’ils ne soient pas prohibitifs. Une telle contribution est prohibitive si son montant ‹empêche la réalisation d’un bénéfice convenable dans le commerce ou la branche en question, en rendant impossible ou excessivement difficile l’exercice de la profession› (…). Tel n’est pas le cas si ‹elle peut être transférée à l’acheteur, c’est-à-dire si, ajoutée au prix de vente, elle n’empêche pas l’entreprise de soutenir la concurrence› (…). »
Inwiefern diese Passage die Behauptung der Qualifikation als «polizeirechtlich motivierte und zeitlich limitierte Einschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Wirtschaftsfreiheit» stützen könnte, bleibt zweifelhaft.
BGE 130 I 26 E. 4.1 S. 40 f.
«4.1 Die Wirtschaftsfreiheit gewährleistet insbesondere den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (Art. 27 Abs. 2 BV). Auch Medizinalpersonen, insbesondere Ärzte, können sich darauf berufen (…). Sie verschafft – unter Vorbehalt des bedingten Anspruchs auf gesteigerten Gemeingebrauch (…) – jedoch grundsätzlich keinen Anspruch auf staatliche Leistungen (…). Sodann steht die Ausübung einer staatlichen Tätigkeit oder eines öffentlichen Amtes nicht unter ihrem Schutz (…). Dies gilt auch für die ärztliche Tätigkeit, soweit sie im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Anstalt in einem entsprechenden Dienstverhältnis erfolgt (…); die Wirtschaftsfreiheit gibt keinen Anspruch darauf, an staatlich subventionierten Spitälern eine private Erwerbstätigkeit ausüben zu können (…).»
Auch diese Passage vermag dem Unvoreingenommenen die Qualifikation als «polizeirechtlich motivierte und zeitlich limitierte Einschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Wirtschaftsfreiheit» nicht wirklich zu belegen.
2C_344/2007 E. 1.3
«1.3 Der Beschwerdeführer hat sich auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK berufen und die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verlangt, wobei er diesen Antrag (lapidar) damit begründet, dass ‹eine Busse […] eine Strafmassnahme dar[stelle]›. Er scheint sich also bewusst zu sein, dass die genannte Konventionsbestimmung nur auf zivil- und strafrechtliche Verfahren Anwendung findet (…), aber die Auffassung zu vertreten, beim streitbetroffenen Disziplinarverfahren handle es sich um eine strafrechtliche Anklage im Sinne der Konvention. Mithin verkennt er offensichtlich, dass die Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte nicht pönalen, sondern administrativen Charakter hat; sie soll das rechtsuchende Publikum bzw. die Rechtspflege schützen und die anwaltliche Standeswürde wahren und nicht etwa begangenes (strafrechtlich relevantes) Unrecht vergelten. Ferner kann ausgeschlossen werden, dass hier mit Blick auf die Höhe der ausgesprochenen Disziplinarbusse ausnahmsweise dennoch eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK vorliegt (…). Fragen könnte sich allenfalls, ob im Lichte des Urteils 53146/99 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 15. Dezember 2005 i.S. Hurter c. Schweiz (…) ein ‹civil right› betroffen ist und Art. 6 Ziff. 1 EMRK deshalb anwendbar wäre (…). Wie es sich damit verhält, braucht jedoch nicht weiter erörtert zu werden: Grundsätzlich besteht zwar in Verfahren über zivilrechtliche Streitigkeiten im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ein Anspruch darauf, dass mindestens einmal ein Gericht eine öffentliche Verhandlung durch- 64 führt (…). Der Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung wäre jedoch vor dem Verwaltungsgericht als letzter kantonaler Rechtsmittelinstanz geltend zu machen gewesen (…). Ein dahingehender Antrag wurde dort nicht gestellt.»
Entweder wird hier behauptet, Disziplinaraufsicht sei reines Administrativrecht und deshalb keine strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 EMRK, oder aber es wird umgekehrt aus der Verneinung einer strafrechtlichen Anklage i.S. der EMRK abgeleitet, die fragliche Bestimmung weise keinen pönalen Charakter auf (zum vollständigen Fehlgehen dieses Argumentes: Niggli, Strafrechtliche Anklage, ContraLegem, 2018/2, in diesem Heft)
«diese Verringerung der Berufswahlmöglichkeiten qualifiziert … vorab als eine polizeirechtlich motivierte und zeitlich limitierte Einschränkung …»
2C_407/2008 E. 3.5
«3.5 Die ebenfalls gerügte Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 6 Ziff. 2 EMRK) geht fehl, weil die Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte nicht pönalen, sondern administrativen Charakter hat. Da auch im Blick auf die ausgesprochene Sanktion keine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK vorliegt (vgl. Urteil 2C_344/2007 vom 22. Mai 2008 E. 1.3 mit Hinweis auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR] vom 15. Dezember 2005 i.S. Hurter c. Schweiz und vom 31. August 2006 i.S. Landolt c. Schweiz, wonach allenfalls ‹civil rights› betroffen sind und Art. 6 Ziff. 1 EMRK deshalb anwendbar wäre), ist Art. 6 Ziff. 2 EMRK hier nicht anwendbar.»
Zur Vergeltung scheint hier nicht wirklich etwas enthalten.
BGE 139 II 173 E. 1 [recte: 5.1] S. 179
«5.1 Art. 12 lit. d BGFA ist in die Rechtsordnung einzubetten, wozu namentlich die Verfassung (…) gehört. Die Freiheit kommerzieller Werbung, die über die Wirtschaftsfreiheit des Art. 27 BV und die Meinungsäusserungsfreiheit der Art. 10 EMRK und Art. 19 UNO-Pakt II (SR 0.103.2) gewährleistet wird (…), ist dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass der Rechtsstaat auf das Vertrauen des Publikums in die freie Anwaltschaft angewiesen ist. Der Zugang zum Recht erfolgt über die Anwaltschaft; ohne sie ist es dem Einzelnen regelmässig verwehrt, seinen Standpunkt in juristischen Angelegenheiten wirksam zur Geltung zu bringen (…). Es besteht daher ein besonderes öffentliches Interesse an einer sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung (vgl. Art. 12 lit. a BGFA). Entsprechend kann der Staat zum Publikumsschutz sowie zur Wahrung von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr Regeln für eine ordnungsgemässe und qualitativ hochstehende Ausübung der Anwaltstätigkeit aufstellen (…). Unter Einhaltung dieser Regeln dient Anwaltswerbung auch ideellen Interessen, indem sie der Klientschaft eine sachgerechte Anwaltswahl erlaubt und damit einen Beitrag zum guten Funktionieren der Rechtspflege leistet (…).»
Zum Berufsverbot für Rechtsanwälte wird hier schlicht nichts ausgesagt.
BGE 125 I 417 E. 5a S. 426
«5a) Das Publikum soll darauf vertrauen können, dass Rechtsanwälte, wenngleich Gewerbetreibende, sich in ihrer Berufsausübung nicht vor allem von Gewinnstreben beherrschen lassen, sondern in erster Linie ihre Verantwortung im Rahmen der Rechtspflege wahrnehmen. 65 In dieser Funktion sollen sie die Rechtsuchenden bei der Verfolgung ihrer subjektiven Rechtsschutzinteressen beraten und unterstützen, sie gegebenenfalls aber auch davon abhalten, aussichtslose Prozesse zu führen (…). Der Wettbewerb zwischen den Berufskollegen soll auf fachlicher Ebene und nicht über die Werbung geführt werden (…). Ein Verbot aufdringlicher Werbung liegt daher im Interesse des Schutzes von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr und dient der Erhaltung von Vertrauenswürdigkeit und Unabhängigkeit des Anwaltsstandes (…). Das Argument, bei Art. 14 FG/BE gehe es nicht hierum, vielmehr werde Konkurrenzschutz – also eine unzulässige Lenkung des Wettbewerbs (…) – bezweckt, ist nicht stichhaltig; die fragliche Werbebeschränkung gilt für alle Rechtsanwälte gleichermassen und wirkt sich daher wettbewerbsneutral aus.»
Zum Berufsverbot für Rechtsanwälte wird hier schlicht nichts ausgesagt.
BGE 123 I 12 E. 2c/aa S. 16 f.
«2c/aa) Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung ein striktes Werbeverbot für Anwälte zwar stets abgelehnt, es anderseits aber als zulässig erachtet, die Werbetätigkeit von Anwälten besonderen Schranken zu unterwerfen (…). Den Kantonen ist es insbesondere erlaubt, aufdringliche und irreführende Werbung zu untersagen. Der Zweck entsprechender Normen lässt sich auch heute nicht beanstanden, selbst wenn ihre Anwendung mit Blick auf die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse (im Vergleich zu diesen älteren Entscheiden des Bundesgerichts) allenfalls gewisser Anpassungen bedarf. Das Publikum soll darauf vertrauen können, dass Rechtsanwälte, wenngleich Gewerbetreibende, sich in ihrer Berufsausübung nicht von Gewinnstreben beherrschen lassen, sondern in erster Linie ihre Verantwortung als ‹Diener des Rechts› und ‹Mitarbeiter der Rechtspflege› wahrnehmen und in dieser Funktion die Rechtsuchenden bei der Verfolgung ihrer subjektiven Rechtsschutzinteressen beraten und unterstützen (…), sie gegebenenfalls aber auch davon abhalten, aussichtslose Prozesse zu führen. Kommerzielle Werbemethoden dürfen darum im Interesse des Schutzes von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr und zur Erhaltung der Vertrauenswürdigkeit und der Unabhängigkeit der Anwaltschaft ausgeschlossen werden, während zurückhaltende und sachlich zutreffende Werbung dem Bedürfnis des Publikums nach Information entgegenkommt und dem Anwalt deshalb nicht grundsätzlich verwehrt sein kann (…). Wo die Grenzen zwischen zulässiger Information und verpönter kommerzieller Werbung liegen, kann im Einzelnen umstritten sein, zumal die Auffassungen darüber in jüngster Zeit einem gewissen Wandel unterworfen sind (…), braucht hier aber nicht allgemein erörtert zu werden. Auf jeden Fall hat die anwaltliche Werbung zurückhaltend zu sein, darf keine unrichtigen Erwartungen wecken, hat auf sensationelles und reklamehaftes Sich-Herausstellen gegenüber Berufskollegen zu verzichten und muss von hohem Informationsgehalt sein (...).»
Zum Berufsverbot für Rechtsanwälte wird hier schlicht nichts ausgesagt.
Schlussfolgerung
Wie der Unvoreingenommene angesichts dieser «Belege» je auf die Idee kommen könnte, die bundesgerichtliche Qualifikation des Berufsverbotes ergäbe sich oder finde nur schon in irgendeiner Weise Unterstützung durch die zitierten Urteile, muss rätselhaft bleiben. Es wäre wohl integrer gewesen, schlicht nichts zu zitieren.