Was ist eine Sanktion?
Marcel Alexander Niggli
Einleitung
73 Im Rahmen der Frage, ob etwas eine Strafe darstelle, findet sich regelmässig der Begriff der Sanktion, der etwas anderes bezeichnen soll als derjenige der Strafe, am Auffälligsten vielleicht im Kartellgesetz, das Verwaltungs- (Art. 49a ff. KG) und Strafsanktionen (Art. 54 ff. KG) unterscheidet. Ähnliche Eigenheiten finden sich aber überall, wo der Strafcharakter einer staatlichen Reaktion bestritten oder bezweifelt werden soll. So wird im Disziplinarrecht häufig von Disziplinarmassnahmen, Disziplinarsanktionen oder eben Disziplinarstrafen gesprochen, ganz so als handelte es sich um völlig verschiedene Dinge.
Etymologisch…
Das erste, was auffällt, ist dass Sanktion einerseits eine Strafe meinen kann, andererseits aber auch eine Billigung, also etwa «X hat diese Praxis sanktioniert» im Sinne von gutgeheissen, gebilligt, angenommen. Diese doch recht gegenläufige Bedeutungen sind auf den ersten Blick verwirrend. Aber vielleicht hilft die Etymologie zum Verständnis des Begriffes weiter. Sanktion nämlich leitet sich von neulat. sanctio her und meint Heilung, Anerkennung, Bestätigung, Billigung, Strafandrohung. Sanctio wiederum kommt von lat. sancire, das «heiligen, durch Weihe unverbrüchlich festsetzen, gesetzlich bekräftigen, bei Strafe verbieten» meint. Sancire bzw. Sanktion beziehen sich also auf etwas Heiliges, Bedeutsames, etwa eine wesentliche Wertvorstellung. Die Sanktion heiligt, bekräftigt und bestärkt dieses Heilige, diese Wertvorstellung. Das kann geschehen, indem ein Verhalten bestätigt wird, es gebilligt und genehmigt wird. Es kann aber auch dadurch geschehen, dass ein Verhalten, welches das Heilige bzw. Bedeutsame verletzt oder beleidigt, bestraft wird, vergolten bzw. als Falsch gekennzeichnet. Daher die beiden scheinbar völlig gegenläufigen Bedeutungen.
Nach dem Duden sind Synonyme für Sanktion zum einen «Akzeptanz, Anerkennung, Annahme, Befürwortung, Beipflichtung, Beistimmung, Bejahung, Bestätigung, Billigung, Einverständnis, Einwilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Gewährung, Zusage, Zustimmung; (bildungssprachlich) Autorisierung, Plazet, Sanktionierung; (umgangssprachlich) Absegnung, Okay, Segen; (veraltend) Konsens; (Völkerrecht) Ratifikation, Ratifizierung», zum anderen aber eben auch «Abstrafung, Bestrafung, Druck[mittel], Gegenmassnahme, Massregelung, Strafaktion, Strafe, Strafmassnahme, Vergeltungsakt[ion], Vergeltungsmassnahme, Zwangsmassnahme; (gehoben) Ahndung; (bildungssprachlich) Repressalie, Sanktionierung; (veraltend) Revanche».
Sanktionen stehen also immer im Zusammenhang mit bedeutsamen Wertvorstellungen. Es handelt sich nicht um blosse Regulierungsmassnahmen oder Konsequenzen blosser Ordnungsvorschriften bzw. deren Verletzung.
Sanktion im StGB
Unter dem Titel «Keine Sanktion ohne Gesetz» bestimmt Art. 1 StGB: «Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.» Diese Norm hatte bis zur Revision 2007 unter 74 dem Titel «Keine Strafe ohne Gesetz» bestimmt: «Strafbar ist nur, wer eine Tat begeht, die das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht.» Man könnte nun aufgrund dieser Entwicklung auf die Idee verfallen, «Sanktion» sei der Oberbegriff für «Strafen» und «Massnahmen», dass also der Begriff seinen Konnex zum Heiligen, zur Bekräftigung von Wert- und Normvorstellungen verloren habe. Doch geht das leider fehl. Wer von der Bezeichnung strafrechtlicher Massnahmen als «Sanktionen» darauf schliessen wollte, jede staatliche Reaktion, die keine Strafe sei, könne als «Sanktion» bezeichnet werden, irrt nicht nur, er vernebelt die eigentliche Bedeutung des Begriffs.
Im Recht bezeichnet Sanktion eine Reaktion auf die Erfüllung eines Tatbestandes.
«Sanktion» nämlich ist der Überbegriff für staatliche Reaktionen nur dort, wo zentrale Wertvorstellungen bzw. Rechtsgüter angegriffen bzw. verletzt werden, und nicht etwa für jede staatliche Reaktion. Sowohl Strafen als auch Massnahmen des Strafgesetzbuches setzen die Begehung eines Straftatbestandes voraus, d. h. die Verletzung einer derartig fundamentalen Wertvorstellung. Sie unterscheiden sich primär dadurch, dass Massnahmen – im Gegensatz zu Strafen – keine Schuld des Täters voraussetzen. Erinnert sei daran, dass die Bezeichnung «Sanktion» sich eben in Art. 1 StGB findet, also im Bestimmtheitsgebot, das damit als gültig gerade für Strafen und Massnahmen erklärt wird. Rechtsfolgen der Verwirklichung eines Straftatbestandes rechnet die herrschende Lehre bisher auch dort dem Strafrecht zu, wo keine Schuld vorausgesetzt wird. Mit dem Begriff «Sanktion» eine Reaktion zu bezeichnen, die nicht dem Strafrecht angehören sollte, ist zumindest verwirrend.
Sanktion im KG
Wendet man die Unterscheidung nun z. B. auf das Kartellgesetz und seine Dichotomie von Verwaltungs- und Strafsanktionen an, dann müssen sich beide Kategorien – sofern sie mit «Sanktionen» korrekt bezeichnet sind – auf Begehung von Straftatbeständen beziehen, d. h. auf die Verletzung wesentlicher Wertvorstellungen bzw. Rechtsgüter. Beide sind also dem Strafrecht zuzurechnen. Der Unterschied der beiden «Sanktionen» müsste – in Analogie zum StGB – darin bestehen, dass Verwaltungssanktionen – anders als Strafsanktionen – keine Schuld voraussetzen. Dies aber vermag nichts an ihrer Zugehörigkeit zum Strafrecht zu ändern.
Sollte eine der beiden Kategorien sich nicht auf die Verwirklichung von Straftatbeständen beziehen, so wäre ihre Bezeichnung als «Sanktion» schlicht falsch. Sollte «Verwaltungssanktionen» dagegen staatliche Reaktionen meinen, die nicht dem Strafrecht angehören (und dies war wohl die Intention des Gesetzgebers), so wäre zu fragen, was anderes denn eine staatliche Reaktionen sein könnte, die weder auf die Durchsetzung geltenden Rechts noch auf die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgerichtet ist (und dies lässt sich nun bei den Art. 49a ff. KG beim besten Willen nicht vernünftig behaupten). Es wird gerade nicht nur Gewinn abgeschöpft oder ein spezifisches Verhalten unterbunden, sondern auf eine Rechtsverletzung reagiert, und zwar – mit der Einführung der direkten Sanktionen nach Art. 49a KG – nicht erst durch Verfügung der WEKO als Resultat eines bestimmten Verhaltens, sondern eben unmittelbar als Konsequenz ebendieses Verhaltens, das nur noch festgestellt werden muss. Damit steht der Strafcharakter ausser Frage.
Der Rechtsbruch wird durch Verwaltungssanktionen genauso wenig geheilt oder rückgängig gemacht wie durch Strafsanktionen. Auch setzen weder Verwaltungs- noch Straf- 75 sanktionen Normen durch, wie dies z. B. Kontrollen oder Bewilligungen zu tun vermöchten, denn Sanktionen kommen immer erst zum Tragen, wenn die fraglichen Normen gerade verletzt wurden. Eine potentielle general- oder spezialpräventive Wirkung ist blosse (empirisch nicht nachweisbare) Hoffnung. Eine derartige Wirkung ist zudem rein hypothetisch, indem ein tatsächlich eingetretener Rechtsbruch in Bezug gesetzt wird zum Nichteintreten möglicher Rechtsbrüche, von denen niemand wirklich weiss, ob und ggf. wie häufig sie tatsächlich eintreten würden. Natürlich kann man das «Durchsetzen» nennen, aber dann wird ein an Ausserirdische gerichtetes Verbot, die Erde anzugreifen oder Menschen zu entführen, auch durchgesetzt durch eine Strafandrohung. Strafen bzw. Sanktionen setzen überhaupt nichts Konkretes durch. Sie schaffen Gerechtigkeit, indem sie das Nicht-Durchgesetzte auszugleichen suchen, die nicht wiedergutzumachende Verletzung ausgleichen. Und darin unterscheiden sich Verwaltungs- und Strafsanktionen nicht einmal in Details.
Eine Verwaltungssanktion ist damit zweifellos eine Verwaltungsstrafe. Bleibt einzig die Frage, was denn eine Strafsanktion sein könnte? Ein sinnloser Pleonasmus, lautet wohl die ehrliche Antwort.