Strafrecht, Strafprozessrecht und sicherheitspolizeiliche Massnahmen
Andreas Donatsch & Benjamin Leupi-Landtwing
Einleitung
Im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts ist der Bund zur Gesetzgebung zuständig. Für die sicherheitspolizeilichen Massnahmen sind es die Kantone. Diese an sich klare Ordnung wird bereits durch einige Regelungen des Strafrechts sowie des Strafprozessrechts durchbrochen. Darüber hinaus nimmt der Bund in der neueren Gesetzgebung ohne ausdrückliche verfassungsmässige Grundlage zunehmend Kompetenzen im sicherheitspolizeilichen Bereich für sich in Anspruch. Dies ist angesichts des kantons- und oftmals gar länderübergreifenden Bedrohungspotenzials und der Mobilität von Störern und Bedrohern in der Sache durchaus verständlich. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es nicht unproblematisch, zumal die Kantone kaum die Möglichkeit haben, sich gegen vermeintliche oder tatsächliche Beschränkungen ihrer Kompetenzen auf rechtlichem Weg zur Wehr zu setzen.
Der vorliegende Beitrag kann und will das Thema nicht erschöpfend behandeln. Vielmehr sollen die sich stellenden Probleme anhand wichtiger Gesetzgebungsbereiche pars pro toto mit Blick auf die laufende und künftige Gesetzgebung beleuchtet werden.
Zuständigkeiten im Bereich Strafrecht, Strafprozessrecht und Sicherheitspolizeirecht
Zuständigkeit zufolge ausdrücklicher Kompetenzzuweisung in der Bundesverfassung
Gemäss Art. 123 Abs. 2 BV ist die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts sowie des Strafprozessrechts Sache des Bundes. Demgegenüber steht den Kantonen aufgrund des Systems der Einzelermächtigung nach Art. 3 und Art. 42 Abs. 1 BV auf ihrem Territorium die originäre Kompetenz für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu.191
Daraus folgt, dass der Bund zwar zur Gesetzgebung im Straf- und Strafprozessrecht zuständig ist. Eine Kompetenz zur Gewährleistung von Sicherheit steht ihm aber nur dann zu, wenn ihm eine solche durch die BV speziell eingeräumt wird.
Art. 57 Abs. 1 BV, wonach Bund und Kantone «im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die 124 Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung» sorgen, begründet nach herrschender Auffassung keine entsprechenden Kompetenzen des Bundes.192
Gestützt auf Art. 173 Abs. 1 lit. b und c BV kann die Bundesversammlung zur Wahrung der inneren Sicherheit Verordnungen oder einfache Bundesbeschlüsse erlassen. Der Bundesrat ist nach Art. 185 Abs. 2 bis 4 BV befugt, in eigener Kompetenz für die Wahrung der inneren Sicherheit im Falle ausserordentlicher Umstände befristete Verordnungen zu erlassen und individuell-konkrete Anordnungen zu treffen, sofern die Grundlagen des Staates und seiner verfassungsrechtlichen Ordnung bedroht sind.193 Der Erlass solcher Verordnungen setzt aber eine ernsthafte und bedeutende Bedrohung der öffentlichen Ordnung sowie einen Zustand zeitlicher Dringlichkeit voraus.194 Es handelt sich dabei um konstitutionelles Notstandsrecht.195 Auf diese Kompetenz wird in der Folge nicht weiter eingegangen.196
Schliesslich wird in Art. 173 Abs. 2 BV festgehalten, die Bundesversammlung behandle Geschäfte, «die in die Zuständigkeit des Bundes fallen und keiner anderen Behörde zugewiesen sind». Auf diese Bestimmung stützt sich der Bund in neuster Zeit für seine Gesetzgebung betreffend sicherheitspolizeiliche Massnahmen.197 Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Anwendung von Art. 173 Abs. 2 BV die Zuständigkeit des Bundes voraussetzt und somit lediglich innerhalb der Bundeskompetenz die Auffangkompetenz der Bundesversammlung festlegt.198
Zuständigkeiten des Bundes ohne explizite Ermächtigung in der Bundesverfassung
Erweiterung der Zuständigkeiten des Bundes im Bereich der Sicherheitspolizei und Folgen für die Kantone
Obschon explizite Ermächtigungen in der BV fehlen, regelt der Bund Polizeiaufgaben, welche aus seiner Sicht einer Vereinheitlichung bedürfen, so etwa mit dem BWIS,199 mit dem Zwangsanwendungsgesetz,200 mit dem BPI,201 mit dem Bundesgesetz über das Verbot von «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen,202 mit dem BGST203 sowie der dazugehörigen Verordnung (VST),204 der VES205 und seit neustem mit dem PMT206 zur Änderung des BWIS. Seine Gesetzgebungskompetenz begründet der Bund regelmässig damit, zwar obliege die Gewährleistung der inneren Sicherheit den Kantonen, jedoch könne der Bund zu sicherheitspolizeilichen Zwecken Informationen sammeln und auswerten sowie diese den Kantonen zur Verfügung stellen.207 Den Bund treffe in diesem Be- 125 reich eine Koordinationsaufgabe208 Weiter wird argumentiert, wenn präventiv-polizeiliche Massnahmen vor und nach einem Strafverfahren zur Anwendung gelangten bzw. wenn ein Sachzusammenhang mit einem Strafverfahren bestehe, deute dies ebenfalls auf die Zuständigkeit des Bundes hin.209 Von einer solchen Zuständigkeit sei jedenfalls dann auszugehen, wenn eine Koordination unter Einbezug des Bundes unerlässlich sei und Sachbereiche tangiert werden, welche mindestens teilweise in die explizite Zuständigkeit des Bundes fallen.210 Im Zusammenhang mit dem Nachrichtendienstgesetz wird argumentiert, für die Frage, ob die Bundesverfassung dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz zuweist, sei im Bereich der inneren und äusseren Sicherheit nicht allein der Verfassungstext massgebend. Vielmehr fielen Kompetenzen, die sich aus der staatlichen Existenz der Eidgenossenschaft ergeben, auch dann in die Kompetenz des Bundes, wenn sie in der Verfassung nicht ausdrücklich genannt werden. «So gilt es als inhärente Kompetenz des Bundes, im Inneren und im Äusseren die notwendigen Massnahmen zu seinem Schutz und zum Schutz seiner Organe und Institutionen zu treffen; der Bund hat den Bestand des gesamtschweizerischen Gemeinwesens zu gewährleisten und zu sichern und für die Abwehr von Gefahren zu sorgen, die dieses Gemeinwesen existenziell bedrohen. Die inhärente Kompetenz des Bundes im Bereich der inneren und äusseren Sicherheit schliesst auch Gesetzgebungsbefugnisse mit ein».211
Neben dem Bund sind die Kantone im Falle paralleler Kompetenzen zur Gesetzgebung befugt. In solchen Konstellationen können Bund und Kantone unabhängig voneinander legiferieren.212 Die Kantone müssen mit ihrer Gesetzgebung allerdings darauf achten, dass mit den kantonalen Normen nicht gegen den Sinn und Geist von Bundesgesetzen verstossen wird.213
Anders verhält es sich, wenn der Bund eine bestimmte Materie abschliessend regelt: Wegen der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) ist eine kantonale Rechtsetzung in derartigen Bereichen ausgeschlossen.214
Da für das Bundesgericht zufolge Art. 190 BV die Bestimmungen des Strafprozessrechts faktisch massgebend sind, kann es Normen sicherheitspolizeilicher Natur, so etwa die Regelung der Haft wegen Ausführungsgefahr, nicht wegen Verfassungswidrigkeit – zufolge eines allfälligen Verstosses gegen die verfassungsmässige Kompetenzordnung – die Anwendung versagen.215
Regelungen mit sicherheitspolizeilicher Zielsetzung im Strafrecht und Strafprozessrecht im Besonderen
Das Strafrecht kennt eine Reihe von Normen mit direkt oder indirekt sicherheitspolizeilicher Zielsetzung. So dient etwa die Friedensbürgschaft gemäss Art. 66 StGB zwar unmittelbar der Durchsetzung einer gerichtlich angeordneten Verpflichtung. Ihr Schutzzweck liegt aber 126 mittelbar in der Verhinderung einer künftigen strafbaren Handlung. Im Zusammenhang mit der Anordnung der Verwahrung nach Art. 64 und Art. 65 Abs. 2 StGB sind ausdrücklich sicherheitspolizeiliche Aspekte zu berücksichtigen. Voraussetzung dieser Massnahme ist nämlich u.a. die ernsthafte Wahrscheinlichkeit einer oder mehrerer künftiger strafbarer Handlungen.
In Art. 67 und 67b StGB werden Tätigkeits- sowie Rayon-, Kontakt- und Annäherungsverbote geregelt, deren Missachtung gestützt auf Art. 294 Abs. 2 StGB mit Strafe sanktioniert werden kann. Bei diesen Verboten handelt es sich um eine sogenannte «andere Massnahmen» strafrechtlicher Natur, welche im Zusammenhang mit einem Strafurteil ausgesprochen werden.216
Sodann können bei bedingt oder teilbedingt ausgesprochenen Strafen Weisungen mit Blick auf das künftige Verhalten des Verurteilten angeordnet werden.217 Eine ähnliche Regelung findet sich bei den Normen betreffend die bedingte Entlassung.218
Im Zusammenhang mit der Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie den subsidiär anzuwendenden Ersatzanordnungen finden sich weitere Normen mit sicherheitspolizeilicher Zielsetzung. Im Vordergrund steht hier neben dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr (Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO) insbesondere derjenige der Ausführungsgefahr (Art. 221 Abs. 2 StPO). Die Inhaftierung wegen Ausführungsgefahr erfordert keinen Tatverdacht, setzt mithin nicht voraus, dass ein möglicherweise strafbares Verhalten untersucht wird bzw. werden soll.219 Daraus folgt, dass der Schutzzweck dieses Haftgrundes rein sicherheitspolizeilicher Natur ist.220 Die Haft wegen Ausführungsgefahr stellt damit eine Präventivhaft zur Vermeidung eines möglichen Verbrechens dar.
Wie mit der Untersuchungshaft können auch mit deren Ersatzmassnahmen sicherheitspolizeiliche Ziele verfolgt werden, so etwa mit der Auflage, sich nur oder nicht an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Haus aufzuhalten (Art. 237 Abs. 1 lit. c StPO) oder mit dem Verbot, mit bestimmten Personen Kontakte zu pflegen (Art. 237 Abs. 1 lit. g StPO).
Abgesehen vom Haftgrund der Ausführungsgefahr kann davon ausgegangen werden, dass die Anordnungen bzw. Massnahmen des Straf- und Strafprozessrechts mit sicherheitspolizeilicher Zwecksetzung sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit gemäss Art. 123 Abs. 2 BV bewegen.
Regelungen mit sicherheitspolizeilicher Zielsetzung im kantonalen Polizeirecht
Im Rahmen ihrer Kompetenzen sind die Kantone für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständig.221 Zur Erfüllung ihrer sicherheitspolizeilichen Aufgaben 127 haben sie insbesondere Gesetze über die häusliche Gewalt222 sowie Polizeigesetze erlassen.
In den Polizeigesetzen finden sich – allenfalls neben Regelungen zur Gerichtspolizei223 – allgemeine Bestimmungen zur Sicherheit, Vorschriften zu den Grundsätzen polizeilichen Handelns sowie solche zu den polizeilichen Massnahmen (insbesondere Anhaltung, Identitätsfeststellung, Ausschreibung, Personennachforschung, erkennungsdienstliche Massnahmen, Fernhaltung, Wegweisung, Durchsuchung, Sicherstellung von Gegenständen, polizeilicher Gewahrsam sowie Überwachungsmassnahmen) und zur Anwendung polizeilichen Zwangs (Anwendung von physischer Gewalt, Fesselung, Schusswaffengebrauch etc.). Weiter enthalten Polizeigesetze Regelungen zum Datenschutz, zur Haftung und zu den Kosten sowie solche betreffend private Sicherheitsdienstleistungen.
In einzelnen Bereichen haben die Kantone die Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben auf Konkordatsebene geregelt.224
Zwischenfazit
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung im Zusammenhang mit der Grenzziehung zwischen eidgenössischem und kantonalem Polizeirecht zumindest unübersichtlich bzw. unklar ist. Zum einen wird für die Kompetenzordnung der Verfassungstext nicht als massgeblich erachtet, sondern auf inhärente Kompetenzen abgestellt. Zum andern ist jeweils durch Auslegung zu ermitteln, ob einerseits eine allfällige bundesrechtliche Regelung als abschliessend zu gelten hat, und ob andererseits im Falle paralleler Kompetenzen die kantonalen Bestimmungen gegen den Sinn und Geist von Bundesgesetzen verstossen.
In den Bereichen des Strafrechts und des Strafprozessrechts, für welche eine explizite bzw. inhärente Bundeskompetenz besteht, finden sich verschiedene Normen mit sicherheitspolizeilichem Schutzzweck. Zufolge der derogatorischen Kraft des Bundesrechts sind diese Normen für die Kantone massgebend. Von einer kantonalen Gesetzgebungskompetenz ist in entsprechenden Konstellationen nur dann auszugehen, falls die bundesrechtliche Regelung nicht abschliessend ist und sofern durch die kantonale Gesetzgebung nicht gegen Sinn und Zweck der eidgenössischen Bestimmungen verstossen wird.
Abgrenzungen der Zuständigkeiten zur Verhinderung künftiger Rechtsgüterbeeinträchtigungen in den Bereichen des Strafrechts und Strafprozessrechts einerseits und des kantonales Polizeirechts andererseits
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Bund das Strafrecht und das Strafprozessrecht abschliessend regelt. Stimmt man diesem Befund zu, so ist damit nicht ohne Weiteres klar, welches denn genau die Grenze zwischen den Kompetenzen des Bundes und denjenigen der Kantone ist. Die Beantwortung dieser Frage muss gestützt auf eine Auslegung der einschlägigen Bestimmungen erfolgen.
Was die in Art. 66 StGB geregelte Friedensbürgschaft anbelangt, so handelt es sich bei dieser der Sache nach um eine Beugehaft, mit welcher eine gerichtlich auferlegte Verpflichtung durchgesetzt werden soll.225 Nach hier vertretener Auffassung beschneidet diese Norm die Kantone nicht in ihren Kompetenzen, sicherheitspolizeiliche Massnahmen zur Verhinderung von Rechtsgüterbeeinträchtigungen anzuordnen.
Die Verwahrung nach Art. 64 StGB weist einen kausalen Zusammenhang mit einem begangenen 128 Verbrechen auf und basiert – auch bei schuldunfähigen beschuldigten Personen226 – auf einer Verurteilung durch ein Gericht. Nach Art. 65 Abs. 2 StGB kann eine Verwahrung nachträglich angeordnet werden, wenn deren Voraussetzungen bereits im Zeitpunkt der Verurteilung bestanden haben. Es handelt sich bei Art. 65 Abs. 2 StGB um eine Revision zu Ungunsten der betroffenen Person, bei welcher ein Urteil gestützt auf einen neuen Sachverhalt mit einem neuen Schuldspruch ergeht.227 Daraus folgt, dass sicherheitspolizeiliche Erwägungen bei der Verwahrung nur im Zusammenhang und als Folge der entsprechenden Verurteilung wegen eines Verbrechens angestellt werden dürfen. Soll demgegenüber eine Person nach Beendigung der Massnahme in Gewahrsam (nachträgliche Sicherheitsverwahrung) genommen werden, liegt diese Massnahme nicht in der für das Strafrecht geltenden Bundeskompetenz. Sie liesse sich im Übrigen auch nicht mit Art. 5 Ziff. 1 lit. a EMRK vereinbaren. Zudem würde sie gegen Art. 7 Ziff. 1 Satz 2 EMRK sowie Art. 15 Ziff. 1 Satz 2 IPBPR verstossen, weil die nachträgliche Inhaftierung einer (gesunden) Person zufolge der autonomen Auslegung durch den EGMR als Strafe qualifiziert228 und damit als nachträgliche Erhöhung der ursprünglichen Strafe erachtet würde.229 Soll eine Person demnach nach der Beendigung der Massnahme und unabhängig von dieser allein wegen ihrer Gefährlichkeit erneut inhaftiert werden, so wäre dies nur gestützt auf Polizeirecht zulässig.
Die Tätigkeits- sowie Kontakt- und Annäherungsverbote gemäss Art. 67 f. StGB werden anlässlich der Verurteilung wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens ausgesprochen.230 Zwischen diesen und dem jeweiligen Verbot besteht ein Zusammenhang. Nach hier vertretener Auffassung ist dieser Bereich durch die betreffenden bundesrechtlichen Regelungen abschliessend geregelt. Die Kantone sind jedoch ebenfalls zuständig, Tätigkeits-, Kontakt- und Annäherungsverbote gesetzlich vorzusehen. Voraussetzung für die Anordnung derartiger kantonaler Verbote darf jedoch nicht die Verurteilung wegen eines Verbrechens oder Vergehens sowie ein Zusammenhang zwischen diesen und dem jeweiligen Verbot sein.
Im Zusammenhang mit der Gewährung des bedingten Strafvollzugs sowie mit der bedingten Entlassung können dem Beschuldigten bzw. dem Täter Weisungen erteilt werden.231 Soweit hier der notwendige Zusammenhang mit dem Strafrecht besteht, sind derartige Weisungen unproblematisch. Diese strafrechtlichen Bestimmungen regeln die möglichen Massnahmen gegen die jeweilige gefährliche Person jedoch nicht abschliessend. Besteht kein Konnex zwischen dem Tatvorwurf bzw. der beurteilten Tat einerseits und der von Täter ausgehenden Gefahr andererseits sind Massnahmen gestützt auf entsprechende kantonale Bestimmungen zu treffen.
Abgrenzungen der Zuständigkeiten zur Verhinderung künftiger Rechtsgüterbeeinträchtigungen bei eidgenössischen und kantonalen sicherheitspolizeilichen Erlassen
Wie vorstehend angeführt, hat der Bund einzelne Gesetze erlassen, mit welchen sicherheitspolizeiliche Zwecke verfolgt werden.232 Somit stellt sich die Frage, welche Kompetenzen den Kantonen im jeweiligen Bereich verbleiben. Die Antwort auf diese Frage kann nicht in genereller Weise erfolgen. Sie ist jeweils im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln.
Nach der Botschaft zum PMT sollen terroristische Anschläge in der Schweiz, der Export von Terrorismus aus der Schweiz sowie die 129 Nutzung der Schweiz als Unterstützungsbasis für Terrorismus verhindert werden.233 Die vorgesehenen präventiv-polizeilichen Massnahmen sollen nicht nur während, sondern auch vor der Eröffnung und nach Abschluss eines Strafverfahrens zur Anwendung gelangen.234 Sie sollen «subsidiär zu kantonalen Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr und unter möglichst weitgehender Berücksichtigung und Schonung kantonaler Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche eingesetzt werden». 235 Trotzdem dürften die Kantone im Bereich der Massnahmen im Zusammenhang mit typisch terroristischen Gefahren (Art. 23l-23q PMT) zufolge des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts zur Legiferierung nicht (mehr) zuständig sein.
Wiewohl aber einer Gefährderin oder einem Gefährder im Zusammenhang mit terroristischen Gefahren beispielsweise ein Kontaktverbot gestützt auf Art. 23l PMT auferlegt werden kann, kann gestützt auf kantonale Bestimmungen ein Kontaktverbot erlassen werden, wenn eine terrorverdächtige Person im privaten Bereich gegenüber ihrem Ehegatten bzw. ihrer Ehegattin Gewalt ausübt. Diese Einschätzung lässt sich durch Auslegung von Sinn sowie Zweck primär des eidgenössischen sowie subsidiär des kantonalen Gesetzes erzielen.
Für den kantonalen Gesetzgeber ergeben sich bei der Auslotung seiner Zuständigkeit im Bereich der Sicherheitspolizei heikle Auslegungsfragen. Letztlich entscheiden die Gerichte unter Berücksichtigung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts gemäss Art. 49 Abs. 1 BV sowie von Art. 190 BV, ob entsprechende kantonale Regelungen zulässig sind oder nicht.
Schlussbetrachtung
Obschon die Kompetenzen zur Gesetzgebung im Bereich des Straf- sowie Strafprozessrechts (Art. 123 Abs. 2 BV) einerseits und der sicherheitspolizeilichen Aufgaben (Art. 3 und Art. 42 Abs. 1 BV) andererseits grundsätzlich auf Verfassungsebene geregelt sind, beansprucht der Bund zunehmend Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der Sicherheitspolizei, welche nicht auf einer expliziten verfassungsrechtlichen Grundlage beruhen. Das führt zu Unklarheiten und zur Unübersichtlichkeit der Kompetenzordnung in diesem Bereich. Problematisch ist dies namentlich für die kantonalen Gesetzgeber, welche einerseits mangels entsprechender rechtlicher Möglichkeiten ihre Kompetenzen nicht verteidigen können und welche andererseits zufolge der unklaren Abgrenzungen der erwähnten Kompetenzordnung nie sicher wissen können, ob sie mit ihren Gesetzen die ihnen zustehenden Kompetenzen ausschöpfen oder überschreiten.
In der Sache sind die Bestrebungen des Bundes verständlich und sinnvoll, kantonsübergreifende Risiken für die öffentliche Sicherheit auf Bundesebene zu regeln. Angesichts der Mittel und der Moblilität der potenziellen Störerinnen bzw. Störer und Gefährderinnen bzw. Gefährder drängen sich kantonsübergreifende bzw. bundesweite Strategien zur Gewährleistung von Sicherheit und entsprechende rechtliche Grundlagen zu deren Umsetzung geradezu auf. Dazu bestehen grundsätzlich wohl vor allem zwei Möglichkeiten, nämlich zum einen eine engere Zusammenarbeit der Kantone mit Regelungen auf Konkordatsebene oder aber die explizite Übertragung zusätzlicher Kompetenzen im sicherheitspolizeilichen Bereich an den Bund.
Unabhängig davon wäre eine klare Regelung der Kompetenzen in der Bundesverfassung zu begrüssen.
Z.B. BGE 140 I 2 E. 10.2.1; 140 I 363 E. 5; Diggelmann/Altwicker, in: Waldmnann/Belser/Epinay (Hrsg.), Basler Kommentar, Bundesverfassung, Basel 2015, Art. 57 N 24.
Biaggini, Kommentar, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl., Zürich 2017, Art. 57 N 2 m.w.H.; Diggelmann/Altwicker, BSK BV (Fn. 1), Art. 57 BV N 23.
Häfelin et al., Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2016, N 1662.
Vgl. BGE 122 IV 258 E. 2; 123 IV 29 E. 3; 137 II 431 E. 3.2.1; Häfelin et al. (Fn. 3), N 1863.
Häfelin et al. (Fn. 3), N 1801.
Ebenso wenig wird Art. 52 Abs. 2 BV in die Abhandlung einbezogen, wonach der Bund – gewissermassen als Ersatz für die Bundesintervention – nach Art. 83 des Militärgesetzes einem Kanton Mittel für die Wahrung der inneren Sicherheit zur Verfügung stellen kann.
Botschaft zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, 33.
Biaggini (Fn. 2), Art. 173 N 33; Merker/Conradin, BSK BV (Fn. 1), Art. 173 N 132 f.
Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit vom 21. März 1997, SR 120.
Bundesgesetz über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes vom 20. März 2008, SR 364.
Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes vom 13. Juni 2008, SR 361.
Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen vom 12.12.2014, SR 122.
Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr vom 18. Juni 2010, SR 745.2.
Verordnung über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr vom 17. August 2011, SR 745.21.
Verordnung über den Einsatz von privaten Sicherheitsunternehmen für Schutzaufgaben durch Bundesbehörden vom 24. Juni 2015, SR 124.
Vorentwurf zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus.
Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und zur Volksinitiative «S.o.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei» vom 7. März 1994, BBl 1994 II 1141 f.
Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Anwendung von polizeilichem Zwang und zu polizeilichen Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (Zwangsanwendungsgesetz, ZAG) vom 18.1.2006, BBl 2006 2495.
Vorentwurf und erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, 14 f., 35; Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens des Europarates über die Bekämpfung des Menschenhandels und zum Bundesgesetz über den ausserprozessualen Zeugenschutz vom 17. November 2010, BBl 2011, ,94 f. Vgl. zum Zivilrecht den erläuternden Bericht zum Vorentwurf zum Bundesgesetz über die Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen vom Oktober 2015, 51 f.
Vorentwurf und erläuternder Bericht PMT (Fn. 19), 95.
Botschaft zum Nachrichtendienstgesetz vom 19. Februar 2014, BBl 2014 2228.
Z.B. BGE 117 Ia 202 E. 5; 127 I 185 E. 4; 140 III 155 E. 4.3; Biaggini (Fn. 2), Art. 57 N 6; Diggelmann/Altwicker, BSK BV (Fn. 1), Art. 57 N 26; Häfelin et al. (Fn. 3), N 1100 f.
BGE 138 I 468 E. 2.3.1; Biaggini (Fn. 2), Art. 49 N 12; Waldmann, BSK BV (Fn. 1), Art. 49 N 19 f.
Z.B. Biaggini (Fn. 2), Art. 49 N 12; Waldmann, BSK BV (Fn. 1), Art. 49 N 15 ff.
Z.B. BGE 126 V 334 E. 2d; 134 I 105 E. 6; 135 I 161 E. 2.1; 143 V 9 E. 6.2 und 6.3.
Hagenstein, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl., Basel 2019, Art. 67b N 20; Jositsch/Ege/Schwarzenegger, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, 9. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2018, § 7 Ziff. 6.12.
Art. 44 Abs. 2 i.V.m. Art. 94 StGB.
Art. 62 Abs. 3 i.V.m. Art. 94 StGB bzw. Art. 87 Abs. 2 i.V.m. Art. 94 StGB.
Coninx/Mona, Strafprozessualer Zwang und positive Schutzpflichten – Verbrechensverhütung als Legitimation von Zwangsmassnahmen, ZStrR 2017, 2; Forster, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 221 N 16; Hug/Scheidegger, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 221 N 41; Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl., Bern 2012, N 927; Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, 3. Aufl., Basel 2016, 144 f.; Piquerez/Macaluso, Procédure pénale suisse, 3. Aufl., Genf/Basel/Zürich 2011, N 1206; Riedo/Fiolka/Niggli, Strafprozessrecht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2011, N 1643; Riklin, Kommentar StPO, 2. Aufl., Zürich 2014, Art. 221 N 5; Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. Zürich/St. Gallen 2017, N 1026; Schmid/Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2017, Art. 221 N 14.
Z.B. BGE 137 I 31 E. 4.4; 140 I 2 E. 6.1; Donatsch/Schwarzenegger/Wohlers, Strafprozessrecht, Zürich/Basel/Genf 2014, § 7 Ziff. 2.322; Oberholzer (Fn. 29), N 928.
Vgl. vorne, Ziff. I.
Z.B. Gewaltschutzgesetz (GSG) des Kantons Zürich vom 19.6.2006, LS 351.
Vgl. Art. 2 Abs. 2 Polizeigesetz des Kantons Zürich vom 23. April 2007, LS 550.1.
Vgl. z.B. Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen vom 15. November 2007 (Hooligan-Konkordat); Konkordat über private Sicherheitsdienstleistungen vom 12. November 2010 (KÜPS).
Kissling, in: BSK StGB I (Fn.26), Art. 67b N 20; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II: Strafen und Massnahmen, 2. Aufl., Bern 2006, § 13 N 12; Jositsch/Ege/Schwarzenegger (Fn. 26), § 7 Ziff. 6.112.
Art. 374 Abs. 1 i.V.m. Art. 375 Abs. 2 StPO.
BGE 136 IV 156 E. 3; 144 IV 321 E. 3.
EGMR vom 26.02.1995, Welch v. Grossbritannien, Nr. 17440/90, Ziff. 27; EGMR vom 21.10.2013, Del Rio Prada v. Spanien, Nr. 42750/09, Ziff. 81; EGMR vom 04.12.2018, Ilnseher v. Deutschland, Nr. 10211/12 und 27505/14, Ziff. 203.
EGMR vom 17.11.2009, M. v. Deutschland, Nr. 19359/04, Ziff. 124 ff.; EGMR vom 28.11.2013, Glien v. Deutschland, N. 7345/12, Ziff. 76 ff.
Vgl. dazu vorstehend bei Fn. 26.
Vgl. dazu vorstehend bei Fn. 27und 28.
Vgl. dazu vorstehend bei Fn. 9-16.
Botschaft zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, 7; vgl. auch vorstehend bei Fn. 16.
Botschaft PMT (Fn. 43), 10.
Botschaft PMT (Fn. 43),16 und 19.