Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile
Omar Abo Youssef
Einleitung
Anlass, sich mit der Frage der Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile auseinanderzusetzen, bietet nicht nur der im Jahr 2018 publizierte Entscheid des Bundesgerichts BGE 144 IV 1, sondern auch der Umstand, dass der Jubilar die Bestimmungen zum selbstständigen Einziehungsverfahren kommentiert hat (Ch. Schwarzenegger, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl., Zürich 2014, Art. 376–378). Im Zusammenhang mit der Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile stellt sich nämlich nicht nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen solche Vorteile einziehbar sind, sondern auch, in welchem Verfahren die Einziehung anzuordnen ist.
Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile
Zukünftige wirtschaftliche Vorteile
Deliktisch erlangte Vermögensvorteile können bereits im Zeitpunkt der Begehung der Straftat oder erst viel später erzielt werden. Ebenso denkbar ist, dass durch eine Straftat erlangte Vermögenswerte Erträge abwerfen, z.B. Mietzinseinnahmen einer deliktisch erlangten Liegenschaft. Werden Erträge deliktisch erlangter Vermögenswerte nach der Tatbegehung, jedoch vor dem Urteil erzielt, dürfte unbestritten sein, dass auch solche Erträge der Einziehung unterliegen (BGE 144 IV 1 = Pra 107 [2018] Nr. 87, E. 4.2.3; N. Schmid, in: Schmid [Hrsg.], Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Band I, 2. Aufl., Zürich 2007, Art. 70–72 N 21, 61; M. Scholl, in: Ackermann [Hrsg.], Kommentar, Kriminelles Vermögen, Kriminelle Organisationen, Einziehung, Kriminelle Organisation, Finanzierung des Terrorismus, Geldwäscherei, Band I, Zürich 2018, Art. 71 StGB N 121). Fraglich ist jedoch, was in Bezug auf deliktisch erlangte Vermögensvorteile und daraus fliessende Erträge gilt, welche erst nach dem Urteil erzielt werden.
Voraussetzungen für die Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile
BGE 144 IV 1: Sachverhalt und Erwägungen
Sachverhalt
Der am 8. Dezember 1990 verstorbene Vater setzte seine vier Kinder, jedes zu einem Viertel, als Erben ein und überliess seiner Ehefrau die Nutzniessung an seinem gesamten Vermögen. Als Folge von Teilteilungen verblieb das nackte Eigentum an den nicht geteilten, mit einer Nutzniessung belasteten Nachlassaktiven dem Täter und einer Schwester. Diese Nachlassaktiven bestanden insbesondere aus Liegenschaften, welche bedeutende Erträge generierten. Der Täter wurde am 18. März 2010 wegen der am 24. Dezember 2005 begangenen vorsätzlichen Tötung seiner Mutter sowie des gleichentags begangenen Mordes an seiner Schwester und an einer Freundin der Mutter zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit Urteil vom 18. März 2010 wurden die bis dahin aufgelaufenen und von der Liegenschaftenverwaltung auf ein Konto überwiesenen Anteile 79 des Täters an den Erträgen aus den Liegenschaften eingezogen.
Am 21. März 2013 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein selbstständiges Einziehungsverfahren i.S.v. Art. 376 StPO, weil sie der Auffassung war, dass auch die von der Liegenschaftenverwaltung nach dem 18. März 2010 auf das Konto überwiesenen Erträge aus den Liegenschaften einziehbar seien und das Gericht nur das Schicksal der vor dem 18. März 2010 beschlagnahmten Vermögenswerte regeln durfte. Sie verfügte die Beschlagnahme des Kontos bis zum Betrag von CHF 2‘272‘721.61 und verpflichtete die Liegenschaftenverwaltung, die Anteile des Täters an den weiter anfallenden Erträgen aus den Liegenschaften auf das Konto zu überweisen. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2014 ordnete die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Beschlagnahme der Anteile des Täters an den nach dem 31. Dezember 2014 anfallenden Erträgen aus den Liegenschaften an, weil sie davon ausging, die Mutter wäre gemäss durchschnittlicher Lebenserwartung am 31. Dezember 2014 eines natürlichen Todes gestorben. Am 13. April 2015 verfügte die Staatsanwaltschaft die Einziehung der beschlagnahmten Vermögenswerte sowie der bis zum 31. Dezember 2014 angefallenen Erträge aus den Liegenschaften und sprach diese Guthaben den Nachlässen der getöteten Mutter und Schwester zu. Die gegen diesen Entscheid eingelegten Rechtsmittel wurden sowohl von der ersten als auch von der zweiten Instanz abgewiesen.
Erwägungen
Das Bundesgericht sah sich vor BGE 144 IV 1 lediglich dazu veranlasst, für die Einziehung i.S.v. Art. 70 StGB in Abgrenzung zur Ersatzforderung i.S.v. Art. 71 StGB zu verlangen, dass die Vermögenswerte «verfügbar» sind. Es hatte bis anhin jedoch keine Gelegenheit, sich zur Frage zu äussern, ob das Kriterium der Verfügbarkeit der Einziehung von zwar identifizierbaren, im Zeitpunkt des Einziehungsentscheides jedoch noch nicht verfügbaren Vermögenswerten, wie insbesondere noch nicht fälligen Mietzinsen, entgegensteht (BGE 144 IV 1 E. 4.2.4).
Das Bundesgericht stimmt der Ansicht von Baumann zu, dergemäss der unrechtmässige Vorteil «anhand der im Zeitpunkt des Einziehungsurteils vorliegenden Fakten und unter Berücksichtigung allenfalls noch zu erwartender Vorteile» beurteilt werden sollte, da Deliktsvorteile sowie Erträge aus diesen auch nach Beendigung der Tat über längere Zeiträume kontinuierlich anfallen können (Baumann, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl., Basel 2019, Art. 70/71 N 36; Baumann, Deliktisches Vermögen, Dargestellt anhand der Ausgleichseinziehung [Art. 59 Ziff. 1, 2 und 4 StGB], Diss., Zürich 1997, 155 f.). Den Umstand, dass allfällige zukünftige Vorteile einem bereits vorhandenen Vermögenswert unter einem strikt rechnerischen Gesichtswinkel nicht gleichgestellt werden können, erachtet das Bundesgericht trotz seiner Rechtsprechung, wonach einziehbare Vermögenswerte sämtliche direkt oder indirekt mittels einer Straftat erlangten wirtschaftlichen Vorteile, die rechnerisch erfasst werden können, umfassen (BGE 144 IV 1 E. 4.2.2 m.w.H.), als nicht entscheidend. Denn würde der Zeitpunkt des Einziehungsentscheids in dem Sinne als massgeblich betrachtet, dass dadurch die Einziehung allfälliger zukünftiger Vorteile verhindert wird, könnte der Täter in die Lage gelangen, nach dem Entscheid den ganzen oder teilweisen Erlös aus seiner Straftat zu erhalten. Dies aber wäre mit dem von Art. 70 StGB verfolgten Zweck unvereinbar. Die Einziehung muss nach Auffassung des Bundesgerichts deshalb nicht nur die im Urteilszeitpunkt «verfügbaren» Vermögenswerte erfassen, sondern auch zukünftige, in zeitlicher und quantitativer Hinsicht (nötigenfalls mittels einer Schätzung i.S.v. Art. 70 Abs. 5 StGB) ausreichend bestimmbare Vorteile (BGE 144 IV 1 E. 4.2.4: «les avantages futurs, dont des créances futures, suffisamment déterminables d’un point de vue temporel et quantitatif, y compris par le biais d’une estimation [art. 70 al. 5 CP]»). Nicht berücksichtigt werden könnten 80 dahingegen blosse Hoffnungen oder Gewinnerwartungen (zum Ganzen BGE 144 IV 1 E. 4.2.4).
Mit Blick auf die Bestimmung von Art. 70 Abs. 5 StGB führt das Bundesgericht aus, dass sich die Schätzung auf sämtliche Faktoren beziehen kann, welche im konkreten Fall für die Bestimmung des Umfangs der einziehbaren Vermögenswerte einschlägig sind. Insofern und unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Einziehung, wonach sich Verbrechen nicht lohnen dürfen, könne das Gericht darauf verzichten, den Umfang der Einziehung explizit zu beziffern, wenn es in der Lage sei, den Gegenstand zu umschreiben und genügend genau zu bezeichnen (BGE 144 IV 1, E. 4.4.1: «[I]l faut également admettre que le juge peut renoncer à chiffrer de façon explicite la quotité de la mesure, s’il est à même d’en circonscrire l’objet et de le désigner de façon suffisamment précise.»).
Im konkreten Fall war das Bundesgericht der Auffassung, es sei klar voraussehbar gewesen, dass auch nach dem erstinstanzlichen Urteil vom 18. März 2010 Mieterträge anfallen würden. Der Erhalt der Mietzinseinnahmen sei eine Folge des verfrühten Endes der Nutzniessung der Mutter des Täters gewesen und stelle daher einen deliktisch erlangten und damit nach Art. 70 Abs. 1 StGB einziehbaren Vorteil dar. Die hauptsächliche Variable sei deshalb nur die Zeitdauer gewesen, während welcher die Erträge aus den Liegenschaften von der Mutter als Nutzniesserin bezogen worden wären. Die zu berücksichtigende Zeitdauer habe sich in casu bis am 31. Dezember 2014 erstreckt, dem Datum, an welchem gemäss Statistik zur durchschnittlichen Lebenserwartung der natürliche Tod der Mutter eingetreten wäre. Dieses Datum hätte nach Auffassung des Bundesgerichts vom erstinstanzlichen Gericht ohne weiteres festgestellt werden können. Infolgedessen wäre das erstinstanzliche Gericht bezüglich der zukünftigen Liegenschaftenerträge in der Lage gewesen, den Gegenstand der Einziehung als Nettomieterträge bzw. als Anteil, welcher dem Täter bis zum 31. Dezember 2014 zugekommen wäre, zu umschreiben. Auch wenn der Umfang der Einziehung nicht explizit beziffert werden konnte, hätte deren Gegenstand ausreichend klar bezeichnet und begrenzt werden können (zum Ganzen BGE 144 IV 1 E. 4.4.2).
Würdigung
Um es gleich vorwegzunehmen: Die bundesgerichtliche Rechtsprechung überzeugt. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob zukünftige wirtschaftliche Vorteile Gegenstand der Einziehung bilden können, ist die in zeitlicher und quantitativer Hinsicht genügende Bestimmbarkeit. Im Sinne einer negativen Abgrenzung hält das Bundesgericht fest, dass blosse Gewinnaussichten oder Anwartschaften, insbesondere Erbanwartschaften vor der Eröffnung des Nachlasses, nicht einziehbar sind (BGE 144 IV 1 E. 4.2.4 und 4.3; vgl. auch Schmid, a.a.O., Art. 70–72 N 18). Im Übrigen wird die zeitlich und quantitativ genügende Bestimmbarkeit des zukünftigen wirtschaftlichen Vorteils massgeblich davon abhängen, welcher Natur der wirtschaftliche Vorteil ist. Handelt es sich um Zinsen auf Bankguthaben (im heutigen Zinsumfeld ein reichlich theoretisches Beispiel), ist deren Höhe – vorausgesetzt sie lasse sich nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand ermitteln – i.S.v. Art. 70 Abs. 5 StGB zu schätzen. Dabei ist nicht einfach der zivilrechtliche vorgesehene Zinsfuss von 5 % zur Anwendung zu bringen (Art. 73 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1 OR), sondern es ist auf den banküblichen Durchschnittszins abzustellen. Würde ein Zinsfuss von 5 % zugrunde gelegt, würde insbesondere in einem niedrigen Zinsumfeld über die Durchsetzung des Grundsatzes «Verbrechen dürfen sich nicht lohnen» hinausgegangen (BGer vom 19.04.2007, 6P.203/2006, E. 7.3; Scholl, a.a.O., Art. 70 StGB N 218).
Vermögensvorteile, welche sich nur rechnerisch abstrakt, nicht jedoch konkret bestimmen lassen (insbesondere Ersparnisgewinne), sind nicht mittels Einziehung i.S.v. Art. 70 StGB, sondern mittels Ersatzforderung i.S.v. Art. 71 StGB abzuschöpfen (vgl. BSK StGB I-Baumann, 81 Art. 70/71 N 22 ff.; Scholl, a.a.O., Art. 70 StGB N 192 ff.). Dies gilt beispielsweise für den Fall, dass die unter Verletzung von Bauvorschriften renovierte Liegenschaft selbst bewohnt und dadurch die Bezahlung eines erhöhten Mietzinses vermieden wird (vgl. Schmid, a.a.O., Art. 70–72 N 18 mit weiteren Beispielen).
Dem Bundesgericht ist auch darin beizupflichten, dass bei der Schätzung des Umfangs der einzuziehenden Vermögenswerte gemäss Art. 70 Abs. 5 StGB sämtliche Faktoren zu berücksichtigen sind, die im konkreten Fall für die Bestimmung des Einziehungswertes bzw. der Ersatzforderung von Bedeutung sind (BGE 144 IV 1 E. 4.4.1; vgl. auch Schmid, a.a.O., Art. 70–72 N 209; Scholl, a.a.O., Art. 70 StGB N 552; Trechsel/Jean-Richard, in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich 2017, Art. 70 N 17). Nicht der Schätzung unterliegen jedoch die Voraussetzungen der Einziehung bzw. Ersatzforderung, namentlich das Vorliegen der Anlasstat. Diese sind «nach den üblichen strafprozessualen Grundsätzen» zu beweisen (Schmid, a.a.O., Art. 70–72 N 210). In analoger Anwendung der Unschuldsvermutung müssen sich Zweifel an den Einziehungsvoraussetzungen deshalb zugunsten des Einziehungsbetroffenen auswirken (BGer vom 26.04.2019, 6B_871/2018, E. 2.1.2 mit Verweis auf BSK StGB I-Baumann, Art. 70/71 N 39). Baumann vertritt auch mit Bezug auf die Schätzung, dass sich diese im Rahmen dessen bewegen müsse, «was unter dem Aspekt der Unschuldsvermutung und auch der Eigentumsgarantie (gerade noch) tolerierbar ist» (BSK StGB I-Baumann, Art. 70/71 N 42).
Sind Faktoren, welchen für die Festlegung des Einziehungswertes bzw. der Ersatzforderung grosses Gewicht zukommt, im Zeitpunkt des Einziehungs- bzw. Ersatzforderungsentscheids unbekannt und kann diesbezügliche auch keine zuverlässige Prognose abgegeben werden, ist allenfalls eine Sistierung des Strafverfahrens in Betracht zu ziehen. Eine Sistierung rechtfertigt sich u.U. dann, wenn die Bestimmung bzw. Festlegung des unrechtmässigen Vermögensvorteils von einem Entscheid einer anderen Behörde abhängt (Scholl, a.a.O., Art. 71 StGB N 123, bzgl. Ersatzforderung).
Fraglich ist, ob dem Bundesgericht auch bezüglich der Auffassung zuzustimmen ist, dass auf eine ausdrückliche Bezifferung des einzuziehenden Betrags verzichtet werden könne, wenn der Vermögenswert genügend präzise abgegrenzt und bestimmt werden kann (BGE 144 IV 1 E. 4.4.1). Das Bundesgericht selbst hielt in diesem Zusammenhang in einem Entscheid aus dem Jahr 2003 fest, dass Art. 70 Abs. 5 StGB (aArt. 59 Ziff. 4 StGB) «sich nach dem klaren Wortlaut ausschliesslich auf die Bezifferung des einzuziehenden Betrages, nicht aber auf die Voraussetzungen der Einziehung» beziehe (BGer vom 30.10.2003, 6S.300/2003, E. 2; vgl. auch BGE 129 IV 305 E. 6.3; Schmid, a.a.O., Art. 70–72 N 210). In einem weiteren Entscheid erwog das Bundesgericht, dass «die Sache zur Dokumentation der Papierspur von den Originalwerten zu den Surrogaten oder zur Ausfällung einer genau bezifferten Ersatzforderung» an die Vorinstanz zurückzuweisen sei (BGer vom 14.11.2007, 6B_369/2007, E. 2.3).
Aus dem ersten Entscheid könnte gefolgert werden, dass der einzuziehende Betrag beziffert werden muss. Da sich das Bundesgericht an der zitierten Fundstelle jedoch nicht explizit mit der Frage der Erforderlichkeit der Bezifferung des einzuziehenden Betrags, sondern lediglich mit dem Anwendungsbereich der Bestimmung von Art. 70 Abs. 5 StGB auseinandergesetzt hat, kann daraus nicht abgeleitet werden, es könne nicht auf die ausdrückliche Bezifferung des Einziehungsbetrags verzichtet werden, wenn der Vermögenswert genügend präzise abgegrenzt und bestimmt werden kann. Beim zweiten Entscheid bringt das Bundesgericht deutlich zum Ausdruck, dass Ersatzforderungen genau zu beziffern sind. Diese Auffassung wird auch von Schmid vertreten, der ausführt, der richterliche Entscheid habe «auf einen bestimmten Betrag in Schweizer 82 Franken» zu lauten. Es gehe nicht an, die Ersatzforderung nur dem Grundsatze nach zu entscheiden und die Festsetzung des Betrags der Vollzugsbehörde zu überlassen (Schmid, a.a.O., Art. 70–72 N 177).
Würde die ausdrückliche Bezifferung des Einziehungsbetrags vorausgesetzt, bestünde die Folge einer fehlenden Bezifferung darin, dass eine Einziehung nicht stattfinden könnte, was mit dem Grundsatz «Verbrechen dürfen sich nicht lohnen» nicht vereinbar wäre. Würde umgekehrt auf die Voraussetzung einer ausdrücklichen Bezifferung des Einziehungsbetrags verzichtet und gelänge auch eine genügend präzise Abgrenzung und Bestimmung des einzuziehenden Vermögenswertes nicht, könnte der entsprechende Vermögenswert mangels präziser Umschreibung nicht eingezogen werden. Massgeblich dürfte für die Einziehung i.S.v. Art. 70 StGB deshalb sein, dass die einzuziehenden Vermögenswerte in sachlicher, zeitlicher und quantitativer Hinsicht so präzise umschrieben werden, dass der Entscheid ohne weiteres vollstreckt werden kann (vgl. Scholl, a.a.O., Art. 70 StGB N 606). Ist dies der Fall, muss der Verzicht auf die ausdrückliche Bezifferung des einzuziehenden Betrags im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung möglich sein. Mit Blick auf die Vollstreckbarkeit des Einziehungsentscheids dürfte bei der Ersatzforderung i.S.v. Art. 71 StGB deren ausdrückliche Bezifferung dahingegen unumgänglich sein (vgl. BGer vom 14.11.2007, 6B_369/2007, E. 2.3; Schmid, a.a.O., Art. 70–72 N 177).
Selbstständige Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile?
Voraussetzungen für die Durchführung des selbstständigen Einziehungsverfahrens
Gemäss Art. 376 StPO wird ein selbstständiges Einziehungsverfahren durchgeführt, wenn ausserhalb eines Strafverfahrens über die Einziehung von Gegenständen oder Vermögenswerten zu entscheiden ist. Diese Umschreibung der Voraussetzung für die Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens wird als «missglückt» bezeichnet (ZK StPO-Schwarzenegger, Art. 376 N 2). Zu Recht: Aus dem Wortlaut allein geht nämlich nicht hervor, dass über die Einziehung i.S.v. Art. 70 ff. StGB grundsätzlich akzessorisch im Rahmen des Strafverfahrens zu entscheiden ist (BGE 144 IV 1 E. 4.1.1 m.w.H.). Ist ein Strafverfahren eröffnet worden, besteht deshalb grundsätzlich kein Raum mehr für die Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens i.S.v. Art. 376 ff. StPO, dem subsidiärer Charakter zukommt (BGE 144 IV 1 E. 4.1.1; BGE 142 IV 383 E. 2.1; Conti, in: Kuhn/Jeanneret [Hrsg.], Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, Basel 2011, Art. 376 N 14; ZK StPO-Schwarzenegger, Art. 376 N 2). Die Einziehung ist von der zuständigen Behörde im ordentlichen Strafverfahren von Amtes wegen und mit aller Sorgfalt zu prüfen (BSK StGB I-Baumann, Art. 70/71 N 21; CR CPP-Conti, Art. 376 N 14).
Ungeachtet dessen ist die Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens insbesondere dann zulässig, wenn nach Abschluss des Strafverfahrens neue einziehbare Vermögenswerte zum Vorschein kommen (BGer vom 12.03.2009, 6B_801/2008, E. 2.3). Weil der Gegenstand der beiden Verfahren nicht deckungsgleich ist, stehen in diesem Fall die Rechtskraft des Strafentscheids und der Grundsatz ne bis in idem der späteren Anordnung der Einziehung im Rahmen eines selbstständigen Einziehungsverfahrens nicht entgegen (BGE 144 IV 1 E. 4.1.2 m.w.H.; BGer vom 12.03.2009, 6B_801/2008, E. 2.3; ZK StPO-Schwarzenegger, Art. 376 N 2c). Dies gilt indessen nicht, wenn die Strafbehörde unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt von den einziehbaren Vermögenswerten hätte Kenntnis haben können. Hätte die Einziehung bereits mit Abschluss des ordentlichen Strafverfahrens angeordnet werden können, unterblieb sie jedoch aus Nachlässigkeit der zuständigen Behörde, ist die Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens ausgeschlossen (BGE 144 IV 1 E. 4.1.2 m.w.H.; BSK StGB I-Baumann, Art. 70/71 N 21; Baumann, 83 in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 376 N 4; ZK StPO-Schwarzenegger, Art. 376 N 2c; offenbar a.M. CR CPP-Conti, Art. 376 N 14).
Voraussetzungen für die selbstständige Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile
Für die Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile kann nichts anderes als das unter lit. A Ausgeführte gelten. Hat die Strafbehörde im Zeitpunkt des Einziehungsentscheids Kenntnis davon, dass zukünftige, zeitlich und quantitativ genügend bestimmbare wirtschaftliche Vorteile bestehen, und ist sie dementsprechend in der Lage, eine Einziehung anzuordnen, so ist über die Einziehung akzessorisch im Strafverfahren zu entscheiden. Die Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens ist unter diesen Umständen mit dem Grundsatz ne bis in idem nicht vereinbar und deshalb unzulässig (BGE 144 IV 1 E. 4.1.2). Konnte die Strafbehörde im Zeitpunkt des Einziehungsentscheids von den zukünftigen wirtschaftlichen Vorteilen trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt keine Kenntnis haben, steht der selbstständigen Einziehung von erst nach dem Strafentscheid zum Vorschein kommenden deliktischen Vermögensvorteilen jedoch nichts entgegen.
Fazit
Sind zukünftige wirtschaftliche Vorteile in zeitlicher und quantitativer Hinsicht genügend bestimmbar, können auch sie Gegenstand der Einziehung bilden. Blosse Gewinnaussichten oder Anwartschaften, insbesondere Erbanwartschaften vor der Eröffnung des Nachlasses, erfüllen dieses Kriterium nicht. Lassen sich die zukünftigen wirtschaftlichen Vorteile nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand ermitteln, ist der Umfang der einzuziehenden Vermögenswerte gestützt auf sämtliche Faktoren, die im konkreten Fall für die Bestimmung des Einziehungswertes bzw. der Ersatzforderung von Bedeutung sind, zu schätzen. Auf eine ausdrückliche Bezifferung des Betrags der Einziehung i.S.v. Art. 70 StGB kann verzichtet werden, wenn dieser genügend präzise abgegrenzt und bestimmt werden kann. Die Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens i.S.v. Art. 376 ff. StPO ist mit dem Grundsatz ne bis in dem nicht vereinbar und daher ausgeschlossen, wenn die Einziehung zukünftiger wirtschaftlicher Vorteile im Strafverfahren hätte angeordnet werden können.