Tierschutz im Schweizer Recht
Lea Camen-Ochsner
Tiere nehmen in unserer Gesellschaft die verschiedensten Rollen ein. Sie sind Begleiter, Familienmitglied, Produkt – z.B. Lebensmittel, Biodünger, Gebrauchsgegenstand oder Tierfutter –, Kapitalanlage und vieles mehr. Aufgrund der Vielfalt der Lebensbereiche, in denen der Mensch mit dem Tier Umgang pflegt, verwundert es nicht, dass tierschutzrelevante Straffälle oft einen themenübergreifenden Bezug aufweisen und regelmässig auch dem Tierschutz verwandte Rechtsbereiche, wie die Tierseuchen-, Jagd-, Gewässerschutz-, Umweltschutz- oder Lebensmittelgesetzgebung, sowie thematisch losgelöste Erlasse, wie das Strassenverkehrs, das Heilmittel- oder das allgemeine Strafgesetz (v.a. bei Betrugs- und Urkundendelikten) betreffen. Letzteres dehnt in gewissen Bestimmungen den strafrechtlichen Schutz denn auch explizit auf Tiere aus (z.B. in Art. 135 StGB «Gewaltdarstellungen» oder Art. 197 StGB «Pornografie»). In den einzelnen Spezialbereichen findet sich oft sowohl auf gesetzlicher als auch auf Verordnungsstufe ein komplexer Normenteppich, welcher bei Tierschutzstraffällen zur Anwendung gelangt – so z.B. die Verordnung über tierische Nebenprodukte (VTNP), die Verordnung über das Schlachten und die Fleischkontrolle (VSFK) sowie die Verordnung über die Direktzahlungen an die Landwirtschaft (DZV).
Der strafrechtliche Tierschutz im engeren Sinne findet sich im Schweizerischen Tierschutzgesetz (TSchG) und der zugehörigen Tierschutzverordnung (TSchV). Verstösse gegen die Tierschutzgesetzgebung werden bestraft als «Tierquälerei», die nach Art. 26 TSchG vorsätzlich sowie seit dem 1. Januar 2013 auch fahrlässig begangen ein Vergehen darstellt, oder als «übrige Widerhandlungen», die als Übertretungen in Art. 28 TSchG normiert sind. Im Einzelfall kann insbesondere die Abgrenzung einer blossen Widerhandlung gegen die Haltevorschriften (i.S.v. Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG) von einer Tierquälerei (i.S.v. Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG) Schwierigkeiten bereiten.
Die Tierquälerei nach Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG
Eine Tierquälerei i.S.v. Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG liegt vor, wenn ein Tier misshandelt, vernachlässigt oder unnötig überanstrengt wird oder wenn dessen Würde in anderer Weise missachtet wird. Geschützt ist folglich sowohl die nichtbiozentrische Würde des Tiers, also dessen körperliche Unversehrtheit, als auch die biozentrische Würde im Sinne eines ethischen Eigenwerts des Tieres. Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG ist ein Erfolgsdelikt. Der Erfolg ist das entscheidende Element für die Abgrenzung zur Übertretung nach Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG (vgl. BGer vom 14.03.2013, 6B_635/2012, E. 3.2.2). Sofern Tiere aufgrund von Verstössen gegen die Haltevorschriften offene Wunden und Verletzungen aufweisen bzw. von einem gewissen Leiden (z.B. bei erhöhtem Stress) auszugehen ist, ist der Tatbestand der Tierquälerei grundsätzlich erfüllt. So ist bspw. ein Schweinehalter, der ein verletztes Tier mit einem bis zum Ansatz abgebissenen Schwanz oder mit gelähmten 114 Hintergliedmassen in den Schlachthof einliefert, wegen Tierquälerei gemäss Art. 26 TSchG und nicht bloss wegen der Missachtung der Tierhaltevorschriften gemäss Art. 28 TSchG strafbar.
Eine Tierquälerei wird häufig durch Misshandlung oder Vernachlässigung eines Tieres begangen. Eine Misshandlung kann als aktives Zufügen von Schmerzen, Leiden oder Schäden von jedermann verübt werden, wobei sowohl das Haustier des Täters als auch ein fremdes Haustier oder gar ein Wildtier betroffen sein kann. Dahingegen stellt die Vernachlässigung eine Unterlassung dar. Der Begriff des Vernachlässigens wird weder durch das Gesetz noch durch seine Materialien definiert, sondern ergibt sich indirekt aus Art. 6 Abs. 1 TSchG. Danach hat eine Person, die ein Tier hält oder betreut, dieses angemessen zu nähren, zu pflegen und ihm die für sein Wohlergehen notwendige Beschäftigung, Bewegungsfreiheit und Unterkunft zu gewähren. Wer diese Handlungen nicht vornimmt und dadurch im Sinne eines strafrechtlichen Erfolgs die Würde des Tiers nach Art. 4 Abs. 2 TSchG ungerechtfertigt missachtet, macht sich der Vernachlässigung nach Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG schuldig. Aufgrund der Ausführungen ist ersichtlich, dass die Vernachlässigung eine Garantenpflicht des Täters verlangt. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist der Kreis derjenigen, die für das Wohlergehen eines Tieres zu sorgen haben, weit auszulegen. Sowohl Halter als auch Betreuer können sich der Vernachlässigung strafbar machen. Während der Halter die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Tier im eigenen Interesse und nicht nur ganz vorübergehend ausübt, kann die Beziehung des Betreuers, der die Beaufsichtigung und Sorge über das Tier in tatsächlichem Sinne übernommen hat, auch kurzfristiger Natur, in fremdem Interesse oder weisungsgebunden sein. Als Betreuer kann somit auch der Finder, der Verwahrer, ein Angestellter oder ein Familienangehöriger des Halters qualifiziert werden, weshalb auch diese die in der Tierschutzverordnung konkretisierten Pflichten zu beachten haben (vgl. BGer vom 08.02.2011, 6B_660/2010, E. 1.2.1 f.).
«Aufgrund des Individualschutzes ist bei Zuchtbetrieben eine hundert- oder gar tausendfache Tatbegehung möglich»
Da das Schweizerische Tierschutzgesetz dem Individualschutz verpflichtet ist, ist von einer Tatmehrheit auszugehen, wenn mehrere Tiere betroffen sind. Dies gilt gemäss Bundesgericht auch dann, wenn die Tiere in einer Mast- oder Zuchteinheit gehalten werden, da diesen derselbe Schutz zukommt wie einzeln gehaltenen Tieren (vgl. BGer vom 30.01.2012, 6B_653/2011, E.1.2). Der Halter oder Betreuer ist daher in solchen Fällen wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz zu verurteilen. Je nach Umfang der Tierhaltung kann dies in einer hundert- oder gar tausendfachen Tatbegehung resultieren, so bspw., wenn in einem Zuchtbetrieb über Jahre hinweg eine erhebliche Anzahl Ferkel ohne Schmerzausschaltung kastriert wurde.
Sanktionen im Bereich des Tierschutzes – Spiegel der gesellschaftlichen Vorurteile?
Führt man sich eine tausendfache Tatbegehung vor Augen – welche bspw. im Fall der vorgenannten Ferkelkastrationen ein vorsätzliches Vergehen (Tierquälerei) darstellt – dann überrascht das in der Schweiz offenbar vorherrschende tiefe Strafmass im Bereich der Tierschutzdelikte: Sowohl die Strafen für Übertretungen als auch jene für Vergehen gegen 115 das TSchG seien im schweizweiten Mittel seit Jahren konstant sehr tief, so der Jahresbericht 2017 der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) (Walther/Körner, Stiftung für das Tier im Recht, Schweizer Tierschutzstrafpraxis 2017, Fünfzehnte Jahresanalyse des landesweiten Tierschutzstrafvollzugs vom 22. November 2018, Zürich 2018). Der Mittelwert der im Jahr 2017 ausgesprochenen Bussen liegt – bei einem Strafrahmen von CHF 20’000.00 für Vorsatzdelikte bzw. CHF 10’000.00 für Fahrlässigkeitsdelikte – gerade mal bei CHF 300.00. Die Höhe der Geldstrafen stieg im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr zwar um 27 % an, liegt jedoch mit durchschnittlich 38 Tagessätzen ebenfalls nach wie vor tief. Zu Freiheitsstrafen kommt es nur selten. Aufgrund der eher tiefen Sanktionen geht die TIR davon aus, dass dem Tierschutzdelikt nach wie vor ein gewisses Image als «Kavaliersdelikt» innewohnt (vgl. Jahresbericht 2017, 29 f.).
Die Stigmatisierung bzw. Bagatellisierung des Tierschutzdelikts als «Kavaliersdelikt» könnte darauf zurückgeführt werden, dass die Stärkung des Tierschutzes in den letzten Jahren präsenter gefordert wird. Was zunächst in sich widersprüchlich erscheint, bestätigt sich in diversen Gesellschaftsbereichen jedoch als natürliches Phänomen. So ist die Kehrseite einer jeden auf strukturelle Veränderung ausgerichteten Strömung deren Bagatellisierung und Diskreditierung durch die Gegenseite, was nicht zuletzt dazu führt, dass sich schliesslich selbst solche Menschen von der Bewegung distanzieren, welche ihrem Naturell nach eigentlich in dieser Kategorie anzusiedeln wären, jedoch aus Unsicherheit oder reiner Bequemlichkeit jeglichen Spott bezüglich ihrer moralischen Gesinnung zu vermeiden versuchen. Zur Veranschaulichung dient ein Blick auf die Bewegung des Feminismus, dessen Grundgedanken gegenüber wohl keine Person weiblichen Geschlechts ablehnend eingestellt sein dürfte, gleichwohl sich aber nur wenige für feministische Anliegen aktiv einsetzen. Darüber hinaus werden allzu «verbissene» Versuche sich mit entsprechenden Themen Gehör zu verschaffen weitläufig belächelt, ohne zu merken, dass ebensolche Reaktionen noch extremere Gegenreaktionen bewirken. Diese Abwärtsspirale, wobei eher von einem immer weiter auf beide Seiten ausschwenkenden Pendel gesprochen werden muss, führt schliesslich dazu, dass sich immer weniger ursprüngliche Anhänger noch mit der Entwicklung der Uridee identifizieren können und ebendiese extreme Positionierung schliesslich ebenfalls zu belächeln beginnen, um ihre Distanzierung davon zu bekunden. Selbige psychologischen Einflüsse dürften im Bereich des Tierschutzes wirken, da beispielsweise ganz entgegen ihres eigentlichen Wortsinns Begriffe wie «Tierschützer» mit solchen wie «Gutmensch» einhergehen, wobei beide mit einem negativen Stigma behaftet sind. Im Wissen um die negative, teilweise sogar spottbehaftete Verwendung dieser Begriffe, werden diese schliesslich selbst von solchen Menschen belächelt, welche eigentlich «gute Menschen» wären und «Tiere schützen» wollten.
Um auf den rechtlichen Lebensbereich bzw. auf den Sinn der vorgängigen Ausführungen für diesen Artikel zurückzukommen, ist dem vorgenannten gesellschaftlichen Phänomen ein allfälliger Einfluss auf die Strafverfolgung und den Gesetzesvollzug einer Gesellschaft anzudenken. Es ist daher insbesondere in der Strafverfolgung darauf zu achten, sich des allfälligen Stigmas eines Deliktsbereichs als «Kavaliersdelikt» bewusst zu sein. Diesen Vorurteilen entgegenzuwirken wäre dabei jedoch die falsche Vorgehensweise, würde dies doch wiederum zu einer Reaktion in extremis führen, was das Pendel in beide Richtungen vermehrt ausschlagen liesse. Vielmehr ist sich auf dem neutralen Terrain der Strafverfolgung in Erinnerung zu rufen, dass die Strafverfolgungsbehörden weder «Tiere retten» noch «gute Menschen» sein müssen, sondern einzig und allein das geltende Recht umzusetzen und anzuwenden haben. Dies bedingt nicht zuletzt die sachgemässe, angemessene Ausschöpfung des Strafrahmens analog anderer Rechtsbereiche. 116
Die tatsächliche Relevanz des Tierschutzes
Die Relevanz des Tierschutzrechts wird insbesondere mit Blick auf die Vielfalt der betroffenen Interessen ersichtlich. So vielfältig sich die Tierschutzthematik in den rechtlichen Normierungsbereichen zeigt, so verschiedenartig präsentieren sich nämlich auch die diesbezüglichen Interessengruppen.
«Tierquälerei geht nachweislich einher mit erhöhtem Risiko, andere Wut- und Gewaltstraftaten zu verüben»
In erster Linie ist der Tierschutz zweifelsohne den Interessen der betroffenen Tiere gewidmet. Gemäss Art. 1 TSchG besteht dessen Zweck denn auch darin, die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen. Die Würde der Kreatur ist seit dem Jahr 1992 für den Bereich der Gentechnologie in der Schweizerischen Bundesverfassung (Art. 120 Abs. 2 BV) und seit 2008 im Schweizerischen Tierschutzgesetz verankert (Art. 3 lit. a TSchG). Dem Tier wird daher per Gesetz ein gewisser Eigenwert zugestanden. Neben den tierischen Belangen sind im Tierschutzbereich i.w.S. und den angrenzenden Rechtsgebieten jedoch zusätzliche Interessen von Bedeutung, wie bspw. diejenigen des Konsumenten an der Qualität der tierischen Lebensmittel sowie wirtschaftliche Interessen im Bereich der Tierseuchengesetzgebung oder der landwirtschaftlichen Direktzahlungen, wobei letztere Fälle durchaus wirtschaftsdeliktische Züge aufweisen und Deliktsbeträge in Höhe von mehreren hunderttausend Franken betreffen können. Schliesslich sind auch gewisse gesellschaftliche Interessen mit dem Vollzug der Tierschutzgesetzgebung verknüpft, da Tierschutz nicht zuletzt auch unter kriminologischen und kriminalpräventiven Gesichtspunkten relevant sein kann. Wie diverse Forschungsergebnisse zeigen, besteht eine signifikante Konnexität zwischen Tierquälerei und zwischenmenschlichen Delikten. So liegt bei Teenagern, welche bereits Tiere misshandelt haben, nachweislich eine höhere Wahrscheinlichkeit vor, Straftaten wie Vandalismus oder gravierende Gewalttaten zu begehen, und bei Tätern häuslicher Gewalt konnte eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, zuvor bereits Tiere getötet oder verletzt zu haben (Killias/Lucia, Is Animal Cruelty a Marker of Interpersonal Violence and Delinquency?, Results of a Swiss National Self-Report Study, Psychology of Violence 2011, Vol. 1, No. 2, 93 ff.; Ascione et al., Battered Pets and Domestic Violence: Animal Abuse Reported by Women Experiencing Intimate Violence and by Nonabused Women, Psychology of Violence 2007, Vol. 13, Nr. 4, 354 ff.). Tierquälerei geht somit nachweislich einher mit einem erhöhten Risiko, andere, insbesondere Wut- und Gewaltstraftaten zu verüben.
Strafrechtliche Tücken im Bereich des Tierschutzes
Im Gegensatz zu anderen Rechtsbereichen hat sich der Umgang mit rechtlichen Fragestellungen im Bereich des Tierschutzes in der Lehre und Rechtsprechung noch kaum gefestigt. Im Zusammenhang mit der Tierschutzgesetzgebung bedingt die juristische Analyse des Einzelfalls daher nicht nur eine gewisse Kreativität, sondern oft auch einen rechtsvergleichenden Blick in verwandte – oder weniger verwandte – Rechtsbereiche. Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel:
Unwahres Auslaufjournal als Falschbeurkundung i.S.v. Art. 251 StGB?
Typisch für den Bereich der landwirtschaftlichen Tierhaltung sind Begleitdokumente, welche vom Tierhalter selbst ausgefüllt, Datenbanken, welche von diesem gespiesen, oder 117 Journale, welche von jenem selbst geführt werden. Der Tierhalter hat bspw. in einem Begleitdokument für Klauentiere eigenhändig zu bestätigen, dass das Tier, welches er an die Schlachtung abgibt, frei von jeglichen Krankheiten ist (sog. Gesundheitsmeldung; vgl. Art. 24 Abs. 5 VSFK). Ferner hat er bspw. aus seuchentechnischen Gründen den Ab- und Zugang von Kühen in der Tierverkehrsdatenbank (TVD) einzutragen oder in einem Auslaufjournal – üblicherweise an der Seite des Kuhstalls montiert – mittels Kreuzen zu vermerken, an welchen Daten er seinen Tieren Auslauf ins Freie gewährt hat. All diese Handlungen bzw. Dokumente können tatsächliche oder rechtliche Konsequenzen auslösen, so z.B. die Gewährung von Direktzahlungen. Es drängt sich daher aus rechtlichen sowie wirtschaftlichen Gründen die Frage auf, ob das unwahre Ausfüllen solcher Dokumente als Urkundenfälschung bzw. Falschbeurkundung i.S.v. Art. 251 StGB qualifiziert werden kann. Am Beispiel des Auslaufjournals soll diese Frage nachfolgend beantwortet werden:
Das Auslaufjournal gem. Art. 40 TSchV
Die Tierschutzgesetzgebung enthält mehrere Bestimmungen, welche den Auslauf von Tieren regeln. So müssen Rinder, welche angebunden gehalten werden, regelmässig, mindestens jedoch an 60 Tagen während der Vegetationsperiode und an 30 Tagen während der Winterfütterungsperiode, Auslauf erhalten, wobei sie jeweils höchstens zwei Wochen ohne Auslauf bleiben dürfen. Ebendieser Auslauf ist vom Tierhalter in einem Auslaufjournal einzutragen (Art. 40 Abs. 1 TSchV). Über diese allgemein tierschutzrechtlichen Mindeststandards hinaus kann den Tieren weitergehender Auslauf gewährt werden. So können sich Tierhalter u.a. sogenannten Tierwohlprogrammen des Bundes anschliessen, wie dem BTS-Programm («Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme») oder dem RAUS-Programm («Regelmässiger Auslauf im Freien»: Auslauf an mind. 26 Tagen/Monat während der Vegetationsperiode und an mind. 13 Tagen/Monat während der Winterfütterungsperiode). Bewirtschafter, die ein Gesuch für bestimmte Direktzahlungsarten einreichen, haben gegenüber den Vollzugsbehörden nachzuweisen, dass sie die Anforderungen der betreffenden Direktzahlungsarten erfüllt haben (Art. 101 DZV). Das Auslaufjournal dient dabei nicht nur dem ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN), welcher zu generellen Beiträgen berechtigt (Art. 11 DZV), sondern auch dem Nachweis der Anforderungserfüllung im Rahmen der Tierwohlprogramme (vgl. Art. 72 i.V.m. Anhang 6 lit. B Ziff. 1.6 DZV).
Die Falschbeurkundung nach Art. 251 StGB
Eine Falschbeurkundung nach Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB begeht, wer in der Absicht, jemanden am Vermögen oder andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, (…) eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt. Die Tatbegehung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Der Täter schafft demnach eine unwahre Urkunde, also eine schriftliche Erklärung, die nicht den Tatsachen entspricht. Dabei muss die Urkunde gerade die Wahrheit der erlogenen Behauptung beweisen sollen (vgl. BGE 125 IV 273, 277). Eine Falschbeurkundung im Sinne des StGB ist daher nur dann gegeben, wenn der Urkunde bezogen auf die in Frage stehende Tatsache eine besondere Beweiseignung und Beweisbestimmung zukommt. Ansonsten liegt eine einfache schriftliche Lüge vor, welche straflos bleibt. Erforderlich ist somit, dass der Urkunde eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt und ihr deshalb besonderes Vertrauen entgegengebracht wird (BGE 132 IV 12, 15). So müssen beispielsweise allgemein gültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gegenüber Dritten gewährleisten (BGE 129 IV 130, 134). Gemäss Bundesgericht liegen allgemeingültige, objektive Wahrheitsgarantien z.B. bei der Prüfungspflicht einer Urkundsperson oder bei gesetzlichen Vorschriften vor, die, wie etwa die Bilanzvorschriften der Art. 958 ff. OR, gerade den Inhalt bestimmter Schriftstücke näher festlegen. Blosse Erfahrungsregeln hinsichtlich der Glaubwürdigkeit irgendwelcher schriftli- 118 cher Äusserungen genügen indessen nicht, mögen sie auch zur Folge haben, dass sich der Geschäftsverkehr in gewissem Umfang auf entsprechende Angaben verlässt. Ob sich eine Wahrheitsgarantie aus gesetzlichen Bestimmungen ableiten lässt, ist schliesslich eine Frage der Auslegung (BGE 119 IV 289, 296).
Das Auslaufjournal als Objekt der Falschbeurkundung
Aufgrund der gemachten Ausführungen stellt sich die Frage, ob gesetzliche Bestimmungen existieren und/ oder ob dem Tierhalter eine garantenähnliche Stellung zukommt, welche die Wahrheit des Auslaufjournals garantieren, oder ob es sich bei den Eintragungen im Auslaufjournal lediglich um eine straflose einfache Lüge handelt.
Es bestehen wie gesagt verschiedene gesetzliche Normen, die konkret festlegen, wie viel Auslauf für die jeweilige Tierart verlangt wird, dass dieser Auslauf in das Auslaufjournal einzutragen ist und welche Umstände auf welche Art und Weise einzutragen sind (z.B. Art. 40 Abs. 1 TSchV; Art. 75 DZV; Anhang 6 lit. B DZV). So schreibt u.a. Art. 8 Abs. 1 der Verordnung des BLV vom 27. August 2008 über die Haltung von Nutztieren und Haustieren vor, dass der Auslauf spätestens nach drei Tagen im Journal einzutragen ist. Die gesetzlichen Bestimmungen legen somit Inhalt, Art und Umfang der Buchführungspflicht des Tierhalters fest und sollen – u.a. dank der Strafandrohung von Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG – gewährleisten, dass das Auslaufjournal gesetzeskonform und wahr geführt wird.
Neben diesen den Inhalt des Auslaufjournals näher festlegenden gesetzlichen Bestimmungen kann auch eine garantenähnliche Stellung des Tierhalters hergeleitet werden: Das Bundesgericht bestätigte bspw. im Falle eines Grossisten, dass dessen Pflicht, Wildbret schon auf der Grosshandelsstufe korrekt zu deklarieren, zeige, dass dieser eine garantenähnliche Stellung zum Schutze des Konsumenten vor unrichtiger Bezeichnung von Wild innehat. Diese garantenähnliche Stellung wurde als materielles Kriterium für die Bejahung der Falschbeurkundung angesehen (BGE 119 IV 289, 296). Selbiges gilt für den Arzt, welcher mit einem unrichtigen Krankenschein Leistungen für sich oder seinen Patienten gegenüber der Krankenkasse geltend macht. Auch er ist aufgrund seiner besonderen Stellung zur wahrheitsgetreuen Angabe verpflichtet und deshalb auch besonders glaubwürdig (BGE 119 IV 54, 57; 103 IV 178, 185 m.w.H.). Analog muss auch dem Tierhalter in einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgrund seiner zuvor beschriebenen gesetzlichen Pflicht zur wahrheitsgemässen Führung des Auslaufjournals eine garantenähnliche Stellung zukommen. Diese bezieht sich insbesondere auf den Schutz seiner Tiere (im Gegensatz der Deklarierungspflicht des Grossisten zum Schutz der Konsumenten). Wird der Auslauf im Auslaufjournal richtig protokolliert, gewährleistet dies die Einhaltung der Mindestanforderungen des Tierschutzes. Da das Tier nicht bloss als «Sache» des Tierhalters gilt, sondern ihm per Gesetz eine eigenständige Würde und ein eigenständiger Schutz zugestanden wird, hat der Tierhalter diesbezüglich durch die Buchführungspflicht (Art. 40 Abs. 1 TSchV) eine garantenähnliche Stellung inne (vgl. BGer vom 11.03.2019, 2C_804/2018, E. 2.4, wonach die Behörden nach Art. 24 Abs. 1 TSchG Auflagen zu verfügen haben, wenn Sie feststellen, dass der Auslauf im Einzelfall dem Tierwohl nicht ausreichend genügend Rechnung trägt). Schliesslich macht der Tierhalter mithilfe des Auslaufjournals Leistungen gegenüber dem Bund (z.B. Direktzahlungen im Rahmen des Tierwohlprogramms RAUS) geltend, was ihn – analog dem vorgenannten Arzt – zu einer wahrheitsgetreuen Journalführung verpflichtet.
Fraglich bleibt nun noch, ob durch das Eintragen einzelner unwahrer Kreuze im Auslaufjournal die Tathandlung einer Falschbeurkundung überhaupt begangen wird. Zur Beurteilung dient ein vergleichender Blick in die Rechtsprechung betreffend die kaufmännische Buchhaltung. Gemäss Bundesgericht können sodann auch unwahre Teile einer Buchhaltung, 119 also einzelne unwahre Belege und Rechnungen den Tatbestand der Falschbeurkundung erfüllen, wenn das Schriftstück bereits bei der Erstellung objektiv und subjektiv dazu bestimmt ist, Bestandteil der kaufmännischen Buchführung zu sein (BGer vom 24.05.2012, 6B_571/2011, E. 2.2.1). Die Buchhaltung muss ein exaktes Bild der gegebenen Situation zeichnen. Die falsche Verbuchung als solche, etwa die unrichtige Aufzeichnung in einem Kassabuch, erfüllt daher den Tatbestand der Falschbeurkundung, wenn sie ein falsches Gesamtbild bewirkt und gerade dasjenige Bild, das die Buchführung zu vermitteln bestimmt ist, verfälscht (Boog, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl., Basel 2019, Art. 251 N 52). Falschbeurkundung in Bezug auf Belege liegt somit nur vor, wenn sie für die Buchhaltung bestimmt sind und der Aussteller mittels der unwahren Belege die Buchhaltung als Ganzes fälschen will. Das Auslaufjournal ist bereits bei dessen Erstellung objektiv und subjektiv dazu bestimmt, die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen (Tierschutz, Direktzahlungen etc.) zu beweisen und somit Teil der entsprechenden «Buchführung» zu sein, die in ihrem Gesamtbild die Einhaltung dieser Anforderungen durch den landwirtschaftlichen Betrieb belegt. Mit der Fälschung des Auslaufjournals soll eben gerade das Gesamtbild über die Einhaltung dieser Vorschriften verfälscht werden, um gewisse auslaufabhängige Beiträge zu kassieren oder Sanktionen zu vermeiden (= unrechtmässiger Vorteil i.S.v. Art. 251 Ziff. 1 StGB). Die einzelne falsche Verbuchung, also das Setzen falscher Kreuze im Auslaufjournal, ist somit als Falschbeurkundung zu werten.
«Durch das unwahre Ausfüllen eines Auslaufjournals kann eine Falschbeurkundung i.S.v. Art. 251 StGB begangen werden»
Schliesslich stellt die Rechtsprechung darauf ab, ob die betreffende Urkunde im Rechtsverkehr gebraucht wird. So verneint das Bundesgericht grundsätzlich die Möglichkeit einer Falschbeurkundung an einem Lohnausweis. Wird dieser jedoch im Verkehr mit Steuerbehörden verwendet, ist eine Falschbeurkundung möglich (vgl. BGer vom 18.02.2013, 6B_390/2012, E. 3.4). Gemäss Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) muss der Tierhalter gegenüber den Vollzugsorganen (primär der Kontrollperson) glaubhaft machen, dass er die RAUS-Anforderungen einhält (vgl. Dokumentation des Auslaufs für Tiere der Rindergattung und Wasserbüffel sowie Tiere der Pferde-, Ziegen- und Schafgattung vom 29.12.2016). Das Auslaufjournal ist hierfür gemäss BLW ein wichtiges Hilfsmittel (vgl. Dokumentation, Ziff. 1.1). Auch gegenüber den Kontrollorganen des Veterinäramts dient das Auslaufjournal dazu, die Einhaltung der Tierschutzgesetzgebung in Bezug auf den Mindestauslauf der Tiere zu belegen. Das Auslaufjournal dient somit nicht bloss der eigenen Überprüfung des Auslaufs, sondern eben gerade der Geltendmachung und dem Beleg der Einhaltung der rechtlichen Mindestvorschriften im Rechtsverkehr mit den Behörden. Obwohl das Auslaufjournal auf den ersten Blick als informelles Dokument erscheint, ist es doch von Beginn weg objektiv und subjektiv zu einer Beweisfunktion bestimmt (vgl. BGer vom 30.12.2016, 2C_24/2016, E. 5, wo das BGer die Rüge des Tierhalters nicht hört, er habe gewisse Auslauftage zwar gewährt, jedoch nicht im Auslaufjournal eingetragen. Mangels anderweitiger Belege sei auf das Auslaufjournal abzustellen.). An dieser Beweisfunktion ändert auch nichts, dass die Kontrollen i.d.R. auf dem Betrieb selbst vorgenommen werden und das Auslaufjournal daher grundsätzlich nicht an eine externe Stelle eingereicht wird.
120 Durch das Setzen falscher Kreuze in einem Auslaufjournal, mit welchen der Tierhalter einen Auslauf seiner Tiere deklariert, der in Tat und Wahrheit nicht gewährt wurde, kann demnach zweifelsohne eine Falschbeurkundung i.S.v. Art. 251 StGB begangen werden.
Fazit
Im Bereich des Tierschutzes und der damit in Zusammenhang stehenden Rechtsbereiche besteht ein komplexer Normenteppich, dessen Anwendung und Auslegung in Lehre und Rechtsprechung erst teilweise gefestigt ist. Die Umsetzung der Tierschutzgesetzgebung verdient ebenso wie alle anderen Rechtsbereiche eine objektive, rein rechtsdogmatische Anwendung, die sich der Wirkung des gesellschaftlichen Pendels zwischen Bagatellisierung und polemischem Fanatismus bewusst ist und weitestgehend zu entziehen versucht. Dabei sind insbesondere die verschiedenen Interessen zu bedenken, welche in den entsprechenden Bereichen vorherrschen, wobei wohl regelmässig die von Emotionen losgelösten wirtschaftlichen Interessen gebraucht – oder im positiven Sinne missbraucht – werden, um auch die am ehesten diskreditierten, da nicht unmittelbar den Menschen betreffenden Interessen, nämlich jene der Tiere selbst, durchzusetzen. Wie das Beispiel des Auslaufjournals zeigt, gehen tierische Belange (Auslauf/Tierschutz) oft mit ökonomischen Konsequenzen (Direktzahlungen) einher. Von diesem Umstand können erstere zweifelsohne profitieren, was nicht bedeuten soll, dass Tierschutz nicht auch unabhängig seiner geldwerten Auswirkungen einer angemessenen Umsetzung bedarf, und zwar nicht (nur), weil dies aus moralischen Gesichtspunkten angezeigt wäre, sondern insbesondere, weil ein Rechtsstaat bezüglich sämtlicher Erlasse des Gesetzgebers eine objektive, von gesellschaftlichen Stigmata losgelöste Anwendung bedingt.