V wie Vertrauensperson

Frank MeyerV wie VertrauenspersonMContraLegem20192145150

V wie Vertrauensperson

Frank Meyer

Die Vertrauensperson ist eine bekannte Figur heutiger Strafverfolgung und Polizeiarbeit. Und dennoch findet sie sich weder in der StPO noch in den kantonalen Polizeigesetzen. Im Gegensatz zum Informanten, der sich den Behörden im Einzelfall und regelmässig eigeninitiativ als Informationsquelle zur Verfügung stellt, und dem verdeckten Ermittler, der als Polizeibeamter oder staatlich Beauftragter unter einer Legende ermittelnd in ein kriminelles Milieu eindringt, handeln V-Männer mittel- oder langfristig unter ihrer eigenen Identität und in ihrem eigenen Umfeld als staatliche Informationslieferanten, wobei diese Beziehung auf Initiative der V-Person oder durch Kontaktaufnahme seitens der Polizei zustande kommen kann. Einfachrechtlich geregelt ist nur der verdeckte Ermittler. Dieser Zustand wirft Fragen auf. Trotz ihrer sprachlichen Nähe trennen VE und VP Welten. Dieser Beitrag zu Ehren von Christian Schwarzenegger soll erhellen, warum das so ist und ob es so bleiben darf.

Definitorisches

In jüngster Vergangenheit stand der Kanton Zürich mehrfach wegen dubioser V-Mann-Einsätze in den Schlagzeilen, die erheblichen Regelungsbedarf aufscheinen liessen. Das fängt schon beim Label an, denn worauf bezieht sich „Vertrauen“ eigentlich? Im Unterschied zum verdeckten Ermittler scheint „Vertrauensperson“ eine glatte Fehlbezeichnung zu sein. Die V-Person geniesst gerade nicht das Vertrauen der Polizei. Sie gilt wahlweise als unzuverlässig, geltungssüchtig oder allein monetär motiviert, aber nicht als für die Rechtspflege engagierter Bürger. Vielleicht bezieht sich „Vertrauen“ deshalb eher darauf, dass die Person für die Polizei interessant ist, weil sie das Vertrauen anderer Personen geniesst, die im Visier staatlicher Ermittlungen sind, oder weil sie sich in bestimmten kriminellen Milieus (OK, Zuhälterei, Drogen- und Menschenhandel, Links- und Rechtsextremismus, gewaltbereiter Islamismus) bewegen. Womöglich ist „Vertrauen“ aber auch ironisch zu verstehen, weil diese Form der Zusammenarbeit keine Grundlage im Gesetz findet, sondern sich allein auf das Vertrauen der Beteiligten stützt. Oder noch böser gedacht: Die Vertrauensperson vertraut darauf, in einer rechtlich gesicherten Informationsbeschaffungsbeziehung zum Staat zu stehen, ohne dass dies tatsächlich zutrifft. Aufgrund ihres vermeintlichen rechtlichen Status wiegt sich die V-Person in Scheinsicherheit. Sie glaubt womöglich, dass sie auf der Grundlage einer rechtlich gesicherten und schützenden Beziehung zur Polizei agiert, die der Polizei ihr gegenüber im Vergleich mit dem normalen Bürger höhere Schutz- und Fürsorgepflichten auferlegt und zugleich einen gewissen rechtlichen Schutz bei der Durchführung der V-Mann-Tätigkeit verschafft. Das Gegenteil ist der Fall. So verleugnet sich der Staat mitunter sogar und nimmt dem Betroffenen die Möglichkeit, seine VP-Stellung objektiv nachweisen zu können. Seine Stellung ist rechtlich ungeregelt. Er ist ein rechtliches Nullum, denn er handelt auch weder als Kronzeuge noch als Whistleblower, da er nicht als Beschäftigter über Rechtsverletzungen aus seinem legalen Arbeitsumfeld berichtet, sondern über kriminelle Milieus und deren düstere Machenschaften.

Die Strafverfolgungsbehörden sehen in diesem Nicht-Rechtszustand offenbar kein Problem. Der Umgang mit Vertrauenspersonen soll ein 146 flexibles, keiner äusseren Kontrolle unterliegendes Element der Ermittlungspraxis bleiben. Im Kern gründet sich diese offizielle Position auf ein Bündel untereinander verwobener Gesichtspunkte, die aber wohl nicht den eigentlichen Grund für die Zurückhaltung ausmachen und auch rechtlich nicht zu überzeugen vermögen. Vordergründig schlagend scheint der Hinweis auf die Autonomie des V-Manns. Dieser handele weder im Auftrag des Staates noch unterliege er dessen Weisungen. Und im Übrigen führe er auch keine Zwangsmassnahmen durch, sondern höre nur zu, schnappe auf, sehe öffentlich Wahrnehmbares und teile dies dann mit. Da der V-Mann nur Informationen in seinem privaten Lebensalltag aufnimmt, habe sowohl die Aufnahme als auch die Weitergabe der Informationen keine Grundrechtsrelevanz. Als privates Handeln löse ein solches Agieren keine Pflicht resp. Verantwortlichkeit des Staates aus und mangels Invasivität sei der Staat auch nicht verpflichtet, das Verhältnis zwischen den Privaten grundrechtsschützend auszugestalten. Und es wird noch besser, denn da es sich um rein privates Verhalten handelt, treffe die staatlichen Behörden auch keine Fürsorgepflicht gegenüber der V-Person. Bei der Regelung des Umgangs mit V-Personen handelt es sich damit letztlich um einen Akt der Selbstorganisation in Bezug darauf, wie Polizei und Strafverfolger in Kontakt zu Bürgern treten wollen.

Das ist gleich mehrfach unaufrichtig. Der V-Mann wird nicht V-Mann, weil er im Ausgang in Züri-West oder bei der Late-Night-Bratwurst am Sternengrill immer wieder rein zufällig von Straftaten hört, sondern weil er der Polizei Zugänge zu Milieus verschafft, die nur äusserst schwer zu infiltrieren sind. Wie Medienberichte nahelegen, können diese Unterstützungshandlungen extrem wertvoll sein. Besondere Anerkennung wird dem V-Mann dafür (offen) nur begrenzt zu teil. Seine Zuverlässigkeit und Rechtstreue sind nämlich ein zentrales Problem. V-Personen und ihre Motive gelten als schwer berechenbar. Und gerade deshalb versucht man sie ausserhalb staatlicher Weisungs- und Verantwortungszusammenhänge zu halten. Der V-Mann ist ein notwendiges Übel. Er personifiziert die Schmuddelecke der Strafverfolgung. Es geht um Leute, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben möchte; wohl oder übel aber muss.

Dies mag die von den staatlichen Behörden (schon aus Selbstschutzgründen) gewählte hemdsärmelige Herangehensweise nachvollziehbar erscheinen lassen. Sie ist aber dennoch verfassungs- und menschenrechtlich hochgradig fragwürdig und schadet auch den durchaus berechtigten Eigeninteressen der Strafverfolgungsorgane. Nicht nur die V-Person, sondern auch Zielpersonen, private Dritte und die beteiligten staatlichen Bediensteten haben ein Interesse an einer verlässlichen rechtlichen Regelung. Mehr noch: Sie haben einen grundrechtlichen Anspruch darauf. Eben diesen negiert die Strafverfolgungsseite beharrlich und darf sich dabei wohl der Rückdeckung durch die Gerichte sicher wissen. Die heutige Praxis wartet freilich nur darauf, vom EGMR kassiert zu werden. Dem vorzubeugen wäre eigentlich die Aufgabe des Bundesgerichts. Jedoch fällt auf, dass man immer wieder auf Defizite der Gewährleistung hinreichender Rechtsgrundlagen stösst (verdeckte Ermittlungen, heimliche Abhörmassnahmen und Fichierung, Speicherung von DNA-Profilen), denen von der nationalen Justiz beharrlich nicht abgeholfen wird. Es ist eine Neigung auszumachen, das Offensichtliche zu überspielen, bis es nicht mehr ignoriert werden kann (Stichworte: J.B., Amann, Minelli, Nada, Chambaz u.a.).

Regelungsbedarf

Eine Regelung der V-Mann-Tätigkeit ist sachlich geboten und verfassungsrechtlich notwendig. Für eine solche Pflicht lassen sich nicht weniger als drei unterschiedlich weitreichende und teils miteinander verbundene Quellen identifizieren. Die Regelungsnotwendigkeit kann aus der Zurechnung der Vertrauensperson zum Staat resultieren, einer positiven Schutzpflicht des Staates entspringen oder Gegenstand einer 147 positiven Gewährleistungspflicht des Staates sein. Dabei muss man sich von der irrigen Annahme freimachen, bei einer solchen Regelung handele es sich um eine unangebrachte Wohltat für zwielichtige Personen. Tritt eine V-Person auf den Plan, spannt sich ein mehrpoliger Grundrechtshorizont auf. Berührt sind nicht nur die Interessen der V-Person, die Anspruch auf Klarheit hat, was sie tun darf, was sie dafür erwarten darf und wie der Staat sie vor den Gefahren ihrer Arbeit schützt. Noch gewichtiger sind die Interessen der Personen, die mit ihm als mögliche Ziele oder Drittbetroffene in Kontakt treten. Vor allem aber sind es die Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden selbst, insb. die Quellenführer, denen stets klar sein muss, welche Verhaltensweisen sie anleiten dürfen, welche Vorteile sie gewähren können und wann eine Pflicht zur Intervention einerseits zum Wohl der V-Person oder andererseits zum Schutz Dritter erwächst. Aus der Individualebene herausgehoben stärken klare rechtliche Regelungen die rechtsstaatliche Belastbarkeit und Wirksamkeit von V-Mann-Einsätzen. Hieran sollte auch die Öffentlichkeit ein Interesse haben, damit Skandale eingedämmt und die unzweifelhaften Potenziale des Instruments abgerufen werden können. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit liegen im Interesse wirksamen Grundrechtsschutzes und effektiver Strafverfolgungsarbeit. Beides ist nicht erreichbar, wenn die Grenzen der V-Mann-Tätigkeit derart opak bleiben.

Zurechnung

Vertrauenspersonen werden, so ist zu erfahren, zumeist auf Initiative des Staates tätig. Sie werden gezielt in ihren jeweiligen Milieus rekrutiert. Bei ihrem Wirken stehen V-Personen in Kontakt zu einem Quellenführer und werden von diesem regelmässig auch angeleitet. Werden Private im Auftrag des Staates tätig oder fördert der Staat wissentlich Informationssammlungen Privater (z.B. durch Lieferung eines Aufnahmegeräts, Instruktionen zur Gesprächsführung und Fragetechnik o.ä.), ist ihm dieses Verhalten aber wie eigenes zuzurechnen, unabhängig vom personal- oder arbeitsrechtlichen Innenverhältnis. Es bedarf damit einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Verhältnis zu Zielpersonen und Dritten. Der EGMR verfährt insofern traditionell strenger als das BGer, welches bei Handlungen mit tatsächlich oder vermeintlich geringer Intensität keine spezifische parlamentsgesetzliche Regelung verlangt.

Es ist eine sehr feine Linie, die hier zwischen autonomem Handeln und Handeln für den Staat verläuft. Je deutlicher und individualisierter die Anleitungen und Anregungen oder Informationswünsche der Behörden ausfallen, umso näher liegt die Zurechnung. Auch die Struktur der Belohnungs- und Anreizsysteme ist dabei relevant. Der Graubereich dürfte hier relativ weit reichen. In ihm schlummert ein erhebliches Risiko, da die Rechtmässigkeit des staatlichen Handelns im Falle der Zurechnung, wie bereits gesagt, vom Vorliegen einer Rechtsgrundlage abhinge, die hinreichenden Missbrauchs-, Willkür- und Rechtsschutz bietet.

Schutzpflichten

Zweite Quelle von positiven Handlungsverpflichtungen sind Schutzpflichten, die sich vor allem aus dem Recht auf Privat- und Familienleben und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergeben können. Dessen Träger, v.a. potenzielle Zielpersonen und Drittbetroffene, sind gegen unzulässige Intrusionen in ihre Privat- und Rechtssphäre zu schützen. Das gilt auch, wenn die unzulässigen Übergriffe von Privaten ausgehen und der Staat ihrer gewahr wird. Die Massstäbe für Eingriffsschwellen und Pflichtenumfang sind im Vergleich zu Gefährdungen von Leib und Leben zugegebenermassen reichlich unscharf. Sie dürften aber zumindest dort einsetzen, wo absehbar ist, dass ein V-Mann zu Straftaten verleitet würde oder in Straftaten abzurutschen droht. Es ist eine interessante materiell-strafrechtliche Frage, die hier nicht vertieft werden soll, unter welchen Umständen ein Quellenführer als Überwachungsgarant einzustufen wäre oder sich als Beteiligter strafbar machte, wenn er subtil Einsatzsituationen schafft, in denen sich die V-Person vorhersehbar in Straftaten zu verstricken droht. 148 Noch schwieriger und weitgehend ungelöst ist, wie mit den regelmässigen Interaktionen der Vertrauensperson mit Zielpersonen und Dritten unterhalb der Strafbarkeitsschwelle umzugehen ist. Damit ist zum einen das Eindringen in die engere Persönlichkeitssphäre angesprochen. Zum anderen geht es darum, dass die Vertrauensperson ihre Kontakte nicht nur gezielt staatlichen Ermittlungen aussetzt, sondern sie auch erst zu ermittlungsrelevantem Verhalten stimulieren kann. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Vertrauensperson das von ihr zu beobachtende Umfeld mit beeinflusst. Dieses Wesensmerkmal des V-Mann-Wesens wird gerne ausgeblendet.

Ebenso spannend ist, wie es sich mit der Abwendung sonstiger Risiken der V-Mann-Tätigkeit verhält. Bei verdeckten Ermittlern steht die Existenz einer Fürsorgepflicht ausser Frage. Der Staat sorgt sich um seine eigenen Leute. Der V-Mann scheint dagegen auf eigenes Risiko tätig zu werden. Da er nach dem Standardnarrativ Privater ist und autonom handelt, besteht kein Ansatzpunkt für eine besondere staatliche Fürsorge. Auch hier gilt es das oben Gesagte in Erinnerung zu rufen. Die Vertrauensperson wird vom Staat angeworben und unter dessen Führung im Interesse staatlicher Informationssammlung tätig, nicht selten in sehr gefährlicher Umgebung. Fürsorge ist das Mindeste, was der Staat schuldet, wenn er Personen für eine mitunter beträchtliche Dauer für derartige Tätigkeiten in Anspruch nimmt. Das hat auch für sich abzeichnende Suchtprobleme und psychische Schwierigkeiten zu gelten. Die federführenden Behörden können sich nicht mit formalen Argumenten aus der Verantwortung winden.

Dessen ungeachtet bleibt die Hauptschwierigkeit in dieser Fallkategorie die Präzisierung der Eingriffssituationen. Überdies dürfte zur Erfüllung der akuten Schutzpflichten eher selten eine umfassendere gesetzgeberische Intervention notwendig sein. Dies berührt vielmehr den Aspekt positiver staatlicher Gewährleistungsverantwortung.

Positive Gewährleistungspflichten

Eine positive Gewährleistungsverantwortung erwächst aus Situationen, in denen sich ein wirksamer Grundrechtsschutz nur erreichen lässt, wenn der Staat bestimmte Organisations- und Verfahrensstrukturen schafft oder gewichtige widerstreitende Grundrechtsinteressen (und öffentliche Interessen) in multipolaren Spannungslagen rechtssicher zu einem wechselseitigen Ausgleich bringt und für klare, berechenbare Grenzen und Modalitäten des Freiheitsgebrauchs sorgt. Eine entsprechende Indikationslage scheint man von behördlicher Seite bei Vertrauenspersonen nicht zu sehen. Das ist eine erstaunliche Fehleinschätzung. Bei genauerer Analyse stösst man auf eine ganze Reihe von gewichtigen Gründen, die eine Gewährleistungsverantwortung mehr als nur nahelegen. Die Regelungsbedürftigkeit folgt schon daraus, dass im Verhältnis zwischen den involvierten Privaten (V-Person, Zielpersonen, Drittbetroffene) verlässlich bestimmt sein muss, wo das unzulässige Eindringen in die Privatsphäre beginnt. Der Staat hat Grenzen zu setzen, um Verkürzungen des Freiheitsgebrauchs infolge unklarer Rechtsverhältnisse zu verhindern. Sicherlich sind die Grenzen zulässiger Täuschung und Zwangsausübung (zum Schutz der Privat- und Intimsphäre) generell nicht leicht zu ziehen. Das entbindet den Staat aber nicht von der Verantwortung, wenn er Personen rekrutiert, die in seinem Interesse Informationen sammeln sollen. Inakzeptabel und nicht begründbar ist es, die V-Person als reinen Privatmann zu fingieren, um das Regelungsbedürfnis herunterzuspielen.

Betrachtet man die strafverfahrensrechtlichen Implikationen des V-Mann-Einsatzes, offenbart sich zudem gleich an mehreren Stellen ein vitales Bedürfnis, der Umgehung strafprozessualer Sicherungsmechanismen entgegenzuwirken. Das beginnt schon mit der drohenden Umgehung des Verdachtserfordernisses. Durch ihre dauerhafte Einbindung in kriminelle Milieus werden V-Personen leicht zu Instrumenten der Vorfeldermittlung und Verdachtsausforschung. Man bewegt sich hier haarscharf an (und nach 149 Auffassung vieler womöglich jenseits) der Grenze des strafprozessual Zulässigen. Dieser Herausforderung ist nicht bereits dadurch abgeholfen, dass man Vertrauenspersonen im Polizeirecht verortet. Zweifelsohne können sie (vielleicht sogar insbesondere) bei der präventiven Polizeiarbeit wichtige Dienste leisten. Sie bleiben aber in jedem Fall Zwitter und müssen entsprechend sowohl polizeirechtlich als auch strafprozessrechtlich erfasst werden. Besonders herausfordernd ist dabei die Regulierung des verfahrenstechnischen Übergangs vom Polizeirecht ins Strafverfahrensrecht sowie der Informationstransfer zwischen diesen Bereichen.

Mit Händen zu greifen ist ferner die Gefahr, dass Eingriffsvoraussetzungen für Zwangsmassnahmen unterlaufen werden. Der V-Mann ist eine lebende Wanze. Er ist der Fleisch gewordene Lausch- und Spähangriff. In unmittelbarem Zusammenhang mit solchen heimlichen Methoden ist auch eine Umgehung von Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechten zu befürchten. Das initiierte Gespräch mit dem V-Mann ist kein Plausch unter Bekannten, bei dem Bürger von vornherein keinen absoluten Schutz gegen Weitergabe der Inhalte haben. Die Erfahrung lehrt überdies, dass das Risiko der Tatprovokation in den typischen Einsatzfeldern (z.B. bei Drogendelikten, aber auch bei Korruption) als nicht gering zu veranschlagen ist. Das verlangt nach einer hinreichend anwendungssicheren Fixierung der zulässigen Einwirkung bzw. passiven Begleitung von Straftaten. Freilich schlummert hier schon das nächste Problem: die Unterbindung eigener Straftaten des V-Manns. Bei der gegenwärtigen Rechtslage glaubt man (irrtümlich), sich von jeglicher Verantwortung freizeichnen zu können, weil der V-Mann ja auf eigenes Risiko als Privater handle. Das Risiko, sich innerhalb des Einsatzmilieus strafbar zu machen bzw. es zwangsläufig zu müssen, darf nicht (durch absichtliches Nichthinsehen) hingenommen werden. Der V-Mann braucht Klarheit darüber, was er angesichts einer wachsenden Zahl von Delikten, die Mitgliedschaften und auch sehr vage Unterstützungsleistungen kriminalisieren, tun darf. Spiegelbildlich betrifft dies natürlich auch den Quellenführer als potenziellen Beteiligten. Er muss ggf. durch Belehrungen und erzieherische Impulse auf die Vertrauensperson einwirken. Stattdessen werden V-Personen heute vielfach allein gelassen. Sie werden sich nicht selten irrtümlich darauf verlassen, aufgrund ihrer Beziehung zur Polizei rechtlich geschützt oder Inhaber von Sonderrechten zu sein. Dies ist aber nicht der Fall. Allenfalls über Beteiligungsdogmatik sowie Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe wird der V-Mann seinen Kopf aus der Schlinge ziehen können, und auch das nur dann, wenn der Staat in Strafverfahren die V-Mann-Tätigkeit offenlegt. Kurzum: ein rechtsstaatlich inakzeptabler Zustand.

Mindestinhalte einer Regelung

Um die aufgezeigten Gefahren zu bändigen, müsste eine künftige Regelung, ähnlich wie beim verdeckten Ermittler, genau festlegen, wer überhaupt als V-Mann angeworben werden darf, was er unternehmen darf und wie Polizei und Staatsanwaltschaft mit ihm umzugehen haben. Damit sind Aufsichts- und Weisungsfragen sowie Fürsorgepflichten angesprochen. Als äussert heikel erweist sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob Informationen über laufende Ermittlungsmassnahmen im beobachtenden Umfeld und Warnungen vor Zugriffen ausgesprochen werden dürfen, wenn dies erforderlich scheint, um die Fortsetzung der V-Mann-Tätigkeit sicherzustellen. Um Wildwuchs und Rechtsunsicherheit vorzubeugen, müssten ferner Protokollierungsstandards eingeführt werden. Damit würde auch die nötige Transparenz geschaffen, um eine wirksame Kontrolle durch Behördenleitung und Justiz zu ermöglichen. Ähnlich verhält es sich beim neuralgischen Problem der Ent- oder Belohnung. Die aktuelle «nichtregulierte Selbstregulierung» durch die Polizei ist ein wichtiger erster Schritt, aber nicht hinreichend. Sie setzt alle Beteiligten grosser Rechtsunsicherheit und sogar Strafbarkeitsrisiken auf Seiten der Quellenführer aus, wie aktuelle Fälle zeigen. Während die Festlegung konkreter Tarife sicherlich den kantonalen 150 Behörden überlassen werden könnte, müsste zumindest gesetzlich geklärt sein, worauf eine Vertrauensperson wann Anspruch hat; denkbar wären Geldzahlungen, Unterstützungsleistungen für die Familie, aufenthaltsrechtliche Privilegien, Hafterleichterungen oder gar Verfahrenseinstellungen, aber vor allem auch Vertraulichkeitszusicherungen und etwaige Schutzmassnahmen.

Schliesslich lassen sich vitale Geheimhaltungsinteressen des Staates bzgl. seiner operativen Methoden, Anwerbepraxis und Einsatztaktik nicht leugnen. Eine Regelung von Akteneinsichts-, Auskunfts- oder Konfrontationsersuchen muss ihnen adäquat Rechnung tragen. Sie können freilich keinen generellen und absoluten Vorrang geniessen.

Schluss

Dieser kursorische Aufriss sollte gezeigt haben, dass der rechtliche Status Quo dringend der Überarbeitung bedarf. Dabei geht es primär darum, den Einsatz von Vertrauenspersonen rechtssicher und (multidimensional) grundrechtskonform auszugestalten. Weder sollen Vertrauenspersonen unbotmässig privilegiert werden, noch handelt es sich um einen Generalangriff auf das Instrument als solches. Vertrauenspersonen können ein effektives und wichtiges Instrument der Gefahrenprävention und Strafverfolgung sein. Eine bessere Regulierung mag zunächst unbequem erscheinen und zu Reibungsverlusten führen. Sie stärkt mittelfristig aber Rechtsstaatlichkeit und Effektivität staatlichen Handelns. Ohnehin werden in einzelnen Kantonen bereits Dienstbefehle zur Führung von Quellen und zur Verwendung ihrer Informationen erlassen und im Umgang mit Vertrauenspersonen Standards gepflegt, die eine solide Ausgangsbasis für eine einfachrechtliche Regelung bilden. Dieser Beitrag zu Ehren von Christian Schwarzenegger, der sich wissenschaftlich über Jahrzehnte mit empirischen und institutionellen Fragen der Kriminalitätsprävention beschäftigt hat, sollte uns aber vor Augen geführt haben, dass dies noch lange nicht reicht.

Download
V wie Vertrauensperson
von Frank Meyer
Contralegem 2, 2019 - Meyer.pdf
Adobe Acrobat Dokument 2.9 MB

Chefredaktion

Marcel Alexander Niggli

 

Redaktion

Dimitrios Karathanassis
Louis Frédéric Muskens

Unser Video-Kanal auf YouTube