Praktikanten

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Praktikanten als Richter des Zwangsmassnahmengerichts?

Junius

Rechtsstaatlichkeit als Schmierentheater

Einführung

66Die Verordnung über die Anwaltsprüfung des Kantons Bern sieht vor, dass zur Anwaltsprüfung zugelassen wird, wer während 18 Monaten eine praktische Ausbildung absolviert hat. Mindestens 9 Monate davon in einem Anwaltsbüro und mindestens 3 Monate bei einer Gerichtsbehörde, einer Staatsanwaltschaft, einem Rechtsamt oder Rechtsdienst einer Direktion oder der Staatskanzlei oder bei einem Regierungsstatthalteramt (Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 5 Abs. 1 und 2 APV).

Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland beschäftigt insgesamt 15 Praktikanten (Stand: 7. August 2019). Das Arbeitsgebiet umfasst Zivil- und Strafrecht. Unter Letzteres fällt auch das Redigieren von Entscheiden im Namen des regionalen Zwangsmassnahmengerichts. Welche Probleme das bewirkt, wird im Nachfolgenden dargelegt.

Praktikanten als Zwangsmassnahmenrichter

Die Praktikanten verfassen die Entscheide in der Regel ohne vorgehende Besprechung mit einem Richter des Zwangsmassnahmengerichts. Sie sind angewiesen, grundsätzlich gemäss den Anträgen der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Das erstaunt auch nicht weiter, sind doch die Praktikanten zu unerfahren und verfügen nicht über genügendes Fachwissen, um eigenständig über die Anordnung oder Verlängerung von Haftsachen entscheiden zu können. Anhand von Vorlagen und durch Textbausteine, die das EDV-Programm des Kantons Bern abmischt, können auch Neulinge bereits zu Beginn ihres Praktikums einen Haftentscheid verfassen. Unterstützt werden sie durch Mitpraktikanten, deren Praktikumszeit schon weiter fortgeschritten ist. Anzufügen ist, dass die Praktikumszeit an einem Regionalgericht in der Regel 6 Monate beträgt, sodass auch erfahrene Praktikanten noch Neulinge sind. Viele der Praktikanten sammeln ihre ersten praktischen Erfahrungen im Rahmen eines Gerichtspraktikums. Immerhin sieht das Regionalgericht Berner Jura-Seeland für ihre Praktikanten einen Besuch im Regionalgefängnis Biel vor. Diese Erfahrung führt zumindest einem Teil von ihnen erstmals vor Augen, welche Konsequenzen Haftentscheide für die Betroffenen haben.

Erst nach Fertigstellung des Entscheides wird er vom zuständigen Richter des Zwangsmassnahmengerichts inhaltlich geprüft, korrigiert oder aber – was meist der Fall ist – genehmigt. Das führt dazu, dass den Anträgen der Staatsanwaltschaft in aller Regel gefolgt wird und keine eigenständigen, der Staatsanwaltschaft zuwiderlaufende Entscheidungen getroffen werden. Kommt hinzu, dass nicht Straf-, sondern hauptberufliche Zivilrichter die Haftanträge (als zusätzliches Nebengeschäft) behandeln. Dass Zivilrichter als Zwangsmassnahmenrichter fungieren, ist so vorgesehen, 67damit die Strafrichter des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland später als Sachrichter entscheiden können und in der Sache nicht vorbefasst sind (vgl. dazu den aktualisierten Staatskalender 2020 des Kantons Bern, Stand: 1. Februar 2020; auch für das Jahr 2020 sind ausschliesslich Zivilrichter als Zwangsmassnahmenrichter tätig).

Diese Praxis des Zwangsmassnahmengerichts ist nicht rechtskonform und läuft grundlegendsten Zielen und Strukturen der Schweizerischen Strafprozessordnung zuwider.

Für die Bearbeitung der Haftentscheide wird also nicht separat Zeit einberechnet, sondern müssen sie neben dem täglichen Geschäft als Zivilrichter gefällt werden. Alleine die Tatsache, dass die Funktion als Zwangsmassnahmenrichter eher ein zusätzliches Nebengeschäft darstellt, lässt erahnen, dass für eine tiefgründige Lektüre und Behandlung der Fälle in der Regel nur wenig Zeit bleibt. Es ist daher zu vermuten, dass die zuständigen Richter des Zwangsmassnahmengerichts nach Erhalt des vom Praktikanten verfassten Entscheids aus Effizienz- sowie Praktikabilitätsgründen in einem späteren Zeitpunkt kaum mehr von diesem vorverfassten Entscheid und seiner Begründung abweichen wird.

Die Gerichte im Verwaltungskreis Berner Jura-Seeland sind im Vergleich zu den anderen bernischen Gerichten stark überlastet (vgl. Bieler Tagblatt vom 19. Oktober 2019 «Manche Gerichtsfälle bleiben bis zur Verjährung liegen»). Das lässt einerseits vermuten, dass gerade bei erstmaligen Haftanträgen bei Massengeschäften (z.B. Drogendelikten bei Nicht-Schweizern) der Aufwand gescheut wird, den vom Praktikanten verfassten Entscheid grundlegend abzuändern. Andererseits erklärt der Personalmangel bei der Seeländer Justiz wohl gerade, warum keine ausgebildeten Richter nach eigenem Ermessen über die Haft entscheiden, sondern diese Aufgabe den Praktikanten delegiert wird.

Rechtswidrigkeit der Vorgehensweise

Strafprozessuale Zwangsmassnahmen greifen in die Grundrechte der Betroffenen ein und sind daher von Verfassung wegen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (vgl. BSK StPO2-Weber, Art. 197 N 1). Das Gesetz sieht vor, dass die Staatsanwaltschaft gewisse Zwangsmassnahmen (z.B. die Untersuchungs- und Sicherheitshaft) nicht selbst anordnen kann. Der schwere Eingriff in die Freiheitsrechte der Betroffenen ist nur gegenüber dringend Verdächtigen und nur als «ultima ratio» (Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO) zulässig. Und über seine Anordnung ebenso wie über seine Verlängerung kann nur ein unabhängiges Zwangsmassnahmengericht entscheiden. Die Idee dahinter ist, dass das Verfahren der Kontrolle des staatsanwaltlichen Handelns und dem Schutz der Beschuldigten dienen soll (vgl. Roos/Fingerhuth, forumpoenale 6/2019, 459). Gerade dass das Gesetz nicht für jede Zwangsmassnahme eine richterliche Genehmigung vorgesehen hat, lässt darauf schliessen, dass es sich bei Haftentscheiden um extrem heikle und für die Betroffenen einschneidende Massnahmen handelt, die einer gerichtlichen Kontrolle bedürfen.

Fazit

Wenn Entscheide von unerfahrenen, noch in Ausbildung befindlichen Personen verfasst werden, die zudem nicht selten angewiesen 68werden, den Anträgen der Staatsanwaltschaft zu folgen, so wird die vom Gesetzgeber angestrebte Sicherheit für die Betroffenen verunmöglicht. Das Zwangsmassnahmengericht nimmt keine Kontrollfunktion mehr wahr, sondern führt bloss Anweisungen der Staatsanwaltschaft aus. Die Staatsanwaltschaft trägt für ihre «Haftentscheidungen» zudem keine Verantwortung, weil es sich dabei von Gesetzes wegen um blosse Anträge handelt, während der Vollzug dieser «Anträge» in der Form von «Entscheidungen» des Zwangsmassnahmengerichts natürlich von diesem zu verantworten wären. Die Praxis des regionalen Zwangsmassnahmengerichts führt also dazu, dass der vom Gesetzgeber vorgesehene Kontrollmechanismus vollständig ausgehebelt wird und die Verantwortung für die Entscheide schlicht nicht mehr zugeordnet werden kann.

Diese Praxis des Zwangsmassnahmengerichts ist nicht rechtskonform und läuft grundlegendsten Zielen und Strukturen der Schweizerischen Strafprozessordnung zuwider.

Es stellt sich überdies die Frage, ob durch diese Vorgehensweise nicht zu hohe Entscheidgebühren verlangt werden: Für den Aufwand des regionalen Zwangsmassnahmengerichts wird eine Gebühr erhoben. Bei der Höhe der Entscheidgebühr wird aber nicht unterschieden, ob ihn ein Praktikant oder ein Richter des Zwangsmassnahmengerichts verfasst hat. Das aber wäre unumgänglich, weil Rechtsanwälte im Kanton Bern für diejenige Arbeit, die durch Praktikanten geleistet wird, ebenfalls nur einen geringeren Stundenansatz verrechnen dürfen (KS 15 des Kantons BE, Ziff. 1.2.).

Diese Ungleichbehandlung lässt sich nicht rechtfertigen, da dem Rechtsanwalt das Handeln seines Praktikanten als Hilfsperson wie das eigene angerechnet wird (Art. 8 Abs. 3 KAG), er aber gleichwohl geringer entschädigt wird. Hinzu kommt, dass bei mehrfacher Haftverlängerung oft lediglich eine Neudatierung des letzten Entscheides erfolgt und argumentativ nicht auf die aktuelle Situation des zu untersuchenden Straffalles und des Betroffenen eingegangen wird. Es handelt sich de facto (bis auf geringe Änderungen) um einen «copy-paste»-Entscheid, für den sich eine Gebühr kaum rechtfertigt.

Zu hoffen bleibt einzig, dass der Kanton Bern im Gerichtskreis Berner Jura-Seeland künftig zusätzliche Richter anstellen wird, damit die Gerichte die ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben und Funktionen tatsächlich auch wahrnehmen (können).

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