Zeit ist nicht Geld
70Zeit ist nicht Geld – jedenfalls nicht im Strafvollzug. Vor einigen Jahren, als ich noch studiert habe und viel Zeit und wenig Geld besass, gelangte ich in die Mühlen der Justiz. Ich befand mich, in meinem alten VW-Bus auf der Heimfahrt von einem Surfurlaub in Frankreich. Es war morgens um drei und es regnete; Bob Marley trällerte fröhlich aus dem Autoradio und ich rauschte mit knapp 120 km/h auf der A1 Richtung Bern. Plötzlich wurde die friedliche Nacht von einem hellen Blitz erleuchtet. Radar. Ich dachte mir noch, «oh nein ich habe das 100-km/h Schild übersehen aber ev. gibt es keine Busse», da der Tacho sehr ungenau ist und mit dem Abzug könnte ich noch Glück gehabt haben. Monate vergingen und ich hörte nichts und hatte schon die Hoffnung, dass es tatsächlich nicht einmal eine Busse geben würde.
Doch eines Tages erhielt ich Post von der Staatsanwaltschaft VD. Ich hatte nicht ein 100-km/h-Schild übersehen, sondern ein 60-km/h-Schild einer Baustelle. Ich wurde der Widerhandlung gegen Art 90 Abs. 2 SVG schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à CHF 40.– bedingt und zu einer Verbindungsbusse von CHF 1'000.– unter Androhung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen bei schuldhaftem Nichtbezahlen verurteilt.
Da ich dachte, «Zeit ist Geld» und CHF 1'000.00 für mich eine immense Summe darstellten, die ich nicht einfach bezahlen konnte, wandte ich mich an das zuständige Amt für Justizvollzug und
ersuchte um Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe. Ich erhielt jedoch die Auskunft, dass die Ersatzfreiheitsstrafe erst vollzogen werden könne, wenn ich fruchtlos betrieben worden sei. Einen
Betreibungsregistereintrag wollte ich mir mit Blick auf die zahllosen damit verbundenen Unannehmlichkeiten nicht leisten und so verschuldete ich mich, bezahlte die Verbindungsbusse und stotterte
den Betrag ab.
Wenn ich heute den Textbaustein des Bundesgerichts lese «[…] aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 2 BV) ergibt sich zudem, dass bei alternativ zur
Verfügung stehenden Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden soll, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft
[…]», bleibt mir nur ein bitteres Lächeln, insbesondere darum weil diese Praxis gemäss aktuellen Abklärungen beim Amt für Justizvollzug in Bern und der bernischen Staatsanwaltschaft auch
unter dem revidierten AT, der die kurzen Freiheitsstrafen wieder möglich macht, erhalten bleibt.
Zeit ist nicht Geld, vor allem dann nicht, wenn man arm ist.
Sabrina Imholz-Fisch