Briefe an die StPO

JuniusBriefe an die StPOMContraLegem202134041

Briefe an die StPO

Junius

Lieber Art. 78 Abs. 5bis StPO

40Was habe ich mich gefreut, Dich letzthin am Bezirksgericht Bülach wieder einmal im Einsatz zu sehen! Zu verhandeln war ein typisches Vier-Augen-Delikt, weshalb die Verfahrensleitung richtigerweise (oder Lausanne gehorchend?) die nochmalige Befragung der Belastungszeugen von Banken anordnete (BGE 140 IV 196). Was ging die Befragung flott voran! Obwohl auch in Deiner Anwesenheit die Aussagen laufend protokolliert werden müssen (Art. 78 Abs. 1 StPO), hörte ich kein «warted sie schnäll, mir mönd nachho mit ufschriibe», wie dies bei den Staatsanwaltschaften (Art. 78 Abs. 5 StPO) immer wieder vorkommt. Nein: Trittst Du in Aktion, verzichtet das Gericht darauf, «der einvernommenen Person das Protokoll vorzulesen oder zum Lesen vorzulegen». Es kam gar zu einem regelrechten Schlagabtausch, einem Kreuzverhör, wie ich dies bisher nur neidvoll am TV in Gerichtsthrillern mitverfolgen durfte. Weshalb Du bisher nur im erst- und zweitinstanzlichen Hauptverfahren in Aktion treten darfst (BBl 2012 5714, 5716), ist mir ein Rätsel.

Wusstest Du, dass eine Pensionierung bald ansteht? Mit der Revision der StPO soll Art. 78a StPO geboren werden (BBl 2019 6790), welcher die Aufzeichnung der Einvernahmen nunmehr auch im Vorverfahren ermöglichen soll. Der Nationalrat hat dazu schon mal ja gesagt (AB 2021 N 596).

Geniess den Ruhestand!

Dein Junius

Du hingegen, Strafbefehl

hast mich wieder fürchterlich aufgeregt. Es mag ja sein, dass Du für den Rechtsunterworfenen ganz praktisch sein kannst. Ich denke da an das nicht-öffentliche Verfahren oder die Kosten. Aber ein bisschen sorgfältiger solltest Du schon agieren.

Und prompt ergeht ein halbes Jahr später ein weiterer Strafbefehl mit demselben Vorwurf. Mit Recht hat dies natürlich herzlich wenig zu tun, nicht?

Ein Tibeter kam letzten Herbst zu mir mit einem Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis. Ihm wurde vorgeworfen, sich illegal in der Schweiz aufzuhalten. Nachdem ich die Staatsanwältin davon überzeugen konnte, dass es Tibetern schlichtweg nicht möglich ist, sich Reisepapiere zu beschaffen (die Ausreise aus der Schweiz aus objektiven Gründen also gar nicht möglich ist und eine Strafbarkeit somit entfällt: BGer, 6B_482/2010 E. 3.2.2, Urteil vom 7.10.2010), stellte sie das Verfahren gottlob ein. Und was 41machst Du? Du rennst schnell zur Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland und klagst ihr Dein Leid. Und prompt ergeht ein halbes Jahr später ein weiterer Strafbefehl mit demselben Vorwurf. Mit Recht hat dies natürlich herzlich wenig zu tun, nicht? Aber das war ja auch nur zweitrangig, als die Gesetzgeber Dich zur Welt brachten, oder?

Wir schauen Dir weiter auf die Finger!

Junius

Prügelknabe Kanton Aargau!

Was wirst Du immer wieder gescholten von Lausanne. Dabei können sich die anderen Kantone zumindest in einer Hinsicht ein Vorbild an Dir nehmen. Du weist in Deinen Strafbefehlen nämlich nicht nur verklausuliert im Mitteilungssatz darauf hin, dass ein Eintrag im Strafregister erfolgen wird (z.B. im Kanton Zürich so: «Mitteilung an die Koordinationsstelle VOSTRA»), sondern stehst ganz offen dazu. Du nimmst gleich im Dispositiv darauf Bezug («Das Urteil wird im Strafregister eingetragen») und ermöglichst so, dass der Rechtsunterworfene den Strafbefehl wenigstens ansatzweise versteht. Der Eintrag im Strafregister ist für den ja oft die empfindlichste Sanktion.

Weiter so, Argovia!

Junius

Ha ha ha, Art. 147a E-StPO!

Meintest Du doch glatt, Du könntest Dich durch die parlamentarischen Beratungen mogeln und den Strafprozess in die Steinzeit zurückbomben. Du wolltest der beschuldigten Person nämlich so lange das Teilnahmerecht an Beweiserhebungen verweigern, wie sich diese «zum Gegenstand der Einvernahme nicht einlässlich geäussert hat» (BBl 2019 6793). Damit würde das Schweigerecht der beschuldigten Person (Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO) bestraft: Wer nicht redet, bleibt draussen! Herr Nationalrat und Hobby-Verteidiger Lukas Reimann setzte sich für Dich in den parlamentarischen Beratungen vehement ein und illustrierte die «Problematik» mit folgendem, total lebensnahmen, gängigen Beispiel (AB 2021 N 600 f.):

Eine Kollegin rief mich an und sagte: «Um Himmels willen, ich habe eine Vorladung bekommen; ich muss als Zeugin aussagen, weil der Beschuldigte gesagt hat, er sei zum Tatzeitpunkt mit mir da und da gewesen.» Da fragte ich: «Ja, stimmt das?» Da sagte sie: «Nein, natürlich nicht. Was soll ich sagen?» Dann sagte ich: «Du kannst entweder gar nichts oder die Wahrheit sagen; andere Möglichkeiten hast Du nicht.» Später sah ich sie wieder und fragte: «So, was hast Du gemacht?» Dann sagte sie: «Ja, ich habe gesagt, ich war mit dem Beschuldigten in den Ferien.» Da fragte ich dann geschockt: «Ja, warum hast Du das gesagt?» Dann sagte sie: «Ja, der ist bei dieser Befragung aufgekreuzt und sass gegenüber. Wie soll ich denn da etwas anderes sagen, wenn er mir gegenübersitzt?»

Der Luki hat da Verschiedenes nicht ganz verstanden (Art. 163 Abs. 2 StPO, Art. 149f StPO) und riskiert die Strafverfolgung seiner Kollegin (Art. 307 StGB). Der Nationalrat verstand Luki auch nicht und schickte Dich bachab (AB 2021 N 604).

Auf Nimmerwiedersehen!

Dein Junius

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Briefe an die StPO 2
Junius, ContraLegem, 2021/3, 40-41
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