Irrungen und Wirrungen

Christoph MettlerIrrungen und Wirrungen um das UmweltverbandsbeschwerderechtMContraLegem202134648

Irrungen und Wirrungen um das Umweltverbandsbeschwerderecht

Christoph Mettler

Bei der Anwendung des Verbandsbeschwerderechts im konkreten Fall verkennen die Beteiligten oftmals sowohl das Wesen der Verbandsbeschwerde als auch die sich daraus ergebende Rolle der Umweltverbände, was vielfach zu (vermeidbaren) Irritationen führt. Ein Versuch der Klarstellung und ein Lösungsvorschlag..

Irrtum der Projektverantwortlichen: Demokratische Legitimierung schützt vor Verbandsbeschwerde

462014 wird im Kanton Schwyz ein Ausführungsprojekt für die «Neue Axenstrasse» aufgelegt. Diese wichtige Verbindungsstrasse zwischen den Kantonen Schwyz, Uri und dem Tessin muss immer wieder wegen Felsstürzen oder Murgängen tage- und vereinzelt gar wochenlang gesperrt werden, mit den erwartbaren negativen Auswirkungen für die regionale Wirtschaft, die Pendler, den Tourismus und den vom unvermeidlichen Ausweichverkehr belasteten Gemeinden. Im Jahr 2016 lehnt das Schwyzer Stimmbevölkerung eine von Umweltverbänden lancierte Initiative zur Verhinderung dieses Projekts mit 62.8 % ab. Gleichwohl ist das Projekt aufgrund von Beschwerden derselben Umweltverbände bis heute nicht realisiert.

Aufgrund dieser Blockierung eines demokratisch legitimierten Projekts, ist es auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass im Schwyzer Kantonsparlament 2019 Stimmen laut wurden, welche die Beschränkung des Verbandsbeschwerderechts auf Projekte von nicht nationalem Interesse verlangen.

Ist das die Lösung? Wohl kaum. Denn zunächst ist daran zu erinnern, dass sich 2008 nicht nur 66 % der Schweizer Bevölkerung, sondern auch das Schwyzer Stimmvolk mit 57.6 % deutlich für die Beibehaltung des Verbandsbeschwerderechts ausgesprochen haben. Betreffend demokratische Legitimation besteht zwischen dem Axenstrassen-Projekt und dem Verbandsbeschwerderecht mithin eine Pattsituation. Ferner würde die geforderte Einschränkung des Verbandsbeschwerderechts zum wenig überzeugenden Resultat führen, dass das Verbandsbeschwerderecht gerade bei Bauvorhaben mit grossen Auswirkungen auf Raum und Umwelt wegfiele. Zu Recht wird die Motion im Schwyzer Kantonsparlament letztlich zwar für nicht erheblich erklärt. Der Regierungsrat lässt es sich aber nicht nehmen, die involvierten Amtsstellen und Gerichte hinsichtlich der beförderlichen Vorantreibung entsprechender Bewilligungsverfahren zu einer höheren Sensibilisierung anzuhalten.

Auf welchem anderen Weg können nun aber solche Pattsituationen zwischen Nutzung und Bewahrung verhindert, gemildert oder gar gelöst werden? Hierzu ist es unerlässlich, sich den Zweck des Verbandbeschwerderechts und der verfahrensrechtlichen Rolle seiner Träger zu vergegenwärtigen.

Irrtum der Umweltverbände: Sie sind nicht betroffene Parteien, sondern Vollzugshelfer

47Das Umweltschutzrecht operiert vielfach mit Finalnormen, d. h., das Gesetz macht eine Aussage bezüglich des Ziels (z. B. möglichst geringe Beeinträchtigung der Umwelt), definiert aber nicht, wie dieses Ziel im Einzelfall zu erreichen ist. Dies eröffnet der Vollzugsbehörde oftmals einen (grossen) Ermessensspielraum in der Anwendung des Gesetzes, den sie – als neutrale Hüterin des Gemeinwohls – mit der grösstmöglichen Objektivität auszuüben hat. Bei kollidierenden Interessen muss die Vollzugsbehörde ehrliche Vermittlerin sein und darf nicht zur Partei werden. Vielfach ist der Staat jedoch zugleich Vermittler, Interessent (z. B. wenn er eine Firma als Steuerzahlerin und Arbeitgeberin anziehen will) oder gar Partei (z. B. im Falle von Infrastrukturprojekten). So kann es denn, vor allem, wenn es um die Wahrung kollektiver Interessen wie Umweltschutz geht, zu einer Schieflage kommen, da zwar durchaus eine gesellschaftliche Betroffenheit gegeben ist, jedoch nicht eine individuelle, welche unabdingbare Beschwerde-Voraussetzung ist. Diese Lücke versucht das Verbandsbeschwerderecht zu schliessen. Der Staat bleibt zwar auch beim Vollzug des Umweltrechts wichtigster Akteur, aber die beschwerdeberechtigten Verbände sollen kooperativ in die Verwirklichung des Gemeinwohls miteinbezogen werden. Das Beschwerderecht auferlegt den Verbänden im Ergebnis eine gewisse (Mit-)Verantwortung für die Anwendung des Gesetzes. Sie sind Vollzugshelfer und müssen daher zwangsläufig in enger Kooperation mit den Vollzugsbehörden zusammenarbeiten. Genau dieser Rolle und Verantwortung werden nun aber Verbände nicht gerecht, wenn sie sich zu «Hüter der nackten Gesetze im eiskalten Wind der Deregulierung» verklären und sich auch gegenüber der Vollzugsbehörde in Totalopposition begeben.

Lösung: Am beförderlichsten wird die Umwelt durch Kooperation geschützt

Gerade bei Projekten in den Spannungsfeldern Umweltschutz und Schutz der Bevölkerung sowie Umweltschutz, Klimaschutz und Energiesicherheit, ist es unerlässlich, dass sich die Verbände, – und im Beschwerdefall auch die erkennenden Gerichte – dieser Rolle und Verantwortung bewusst sind. Als Vollzugshelfer sind auch die Verbände an die Grundsätze des staatlichen Handelns gebunden. Da ihr Verhalten entsprechend vertrauensbildend wirken kann, genügt es für die Beschwerdeberechtigung mithin nicht, am erstinstanzlichen Verfahren teilgenommen zu haben. Vielmehr müssen die beschwerdeweise geltend gemachten Rechtsverletzungen auch bereits in diesem erstinstanzlichen Verfahren moniert worden sein.

Um Doppelspurigkeiten und damit Verzögerungen im erstinstanzlichen Vollzug zu vermeiden, 48sind schliesslich die Kompetenzen der staatlichen Behörde und der Umweltverbände klar(er) zu regeln bzw. voneinander abzugrenzen. Wie dies bereits im Rahmen der USG-Teilrevision 2002 vorgeschlagen wurde, könnten z. B. Vereinbarungen zwischen dem Projektverantwortlichen und Umweltverbänden als behördenverbindlich erklärt werden.

Doch wie auch immer die Regelung in der Zukunft ausfallen mag. Wichtig ist, dass beide Seiten die Rolle der beschwerdeberechtigten Verbände beim Vollzug des Umweltrechts akzeptieren. Denn nur auf diesem Weg kann letztlich erreicht werden, was mit dem Verbandsbeschwerderecht bezweckt wird, nämlich kooperativer Umweltschutz.

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Irrungen und Wirrungen um das Umweltverbandsbeschwerderecht
Christoph Mettler, ContraLegem 2021/3, 46-48
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