Bemerkungen im Zusammenhang mit den Sanktionen gegenüber Russland

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Bemerkungen im Zusammenhang mit den Sanktionen gegenüber Russland

Katja Korolevskaya

Randnotizen

«Er wusste nicht, was er wollte: entweder eine Verfassung oder Sternstör mit Meerrettich…»

Michail Saltykow-Schtschedrin, «Kultivierte Menschen»



34Vor kurzem, an einem Freitag, habe ich von der Raiffeisenbank Luzern einen Brief erhalten:

«Luzern, 16. März 2022

Sanktionen Russland – Kopie Pass

Sehr geehrte Frau Korolevskaya

Aufgrund der laufenden Sanktionen gegen Russland sind wir verpflichtet, eine Kopie Ihres russischen Passes zu unseren Akten zu nehmen.

Wir bitten Sie, uns eine Kopie Ihres Passes (Vorder- und Rückseite) bis spätestens 25. März 2022 mittels beigelegtem Rückantwortcouvert zuzustellen oder via E-Mail an xxxxx.xxxxxx@raiffeisen.ch zu senden. Sofern Sie neben der russischen Staatsbürgerschaft über weitere Staatsbürgerschaften verfügen, bitten wir Sie ebenfalls, um eine entsprechende Ausweiskopie.

Wir danken Ihnen für die Unterstützung im Zusammenhang mit der Einhaltung unserer regulatorischen Vorgaben.»

(Die Schreibweise und Orthographie sowie die Hervorhebungen stammen von den Unterschriebenen – Anm. d. Autorin)

Einen Tag später habe ich noch einen zweiten Brief erhalten. Aufgrund der Dicke des Couverts habe ich noch einen Witz gemacht: «Es ist ein „Sanktionsbrief“ von meiner anderer Bank». Worauf mein Begleiter, der die Situation mit dem ersten „Sanktionsbrief“ kannte, erwidert hat, dass es wohl nicht wahr sein könne. Der Inhalt des Briefes lautete folgendermassen:

«Vervollständigung Ihres Kundendossiers

Sehr geehrte Frau Korolevskaya

Aufgrund von Art. 20 der Verordnung vom 04.03.2022 über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine ist PostFinance verpflichtet bestehende Geschäftsbeziehungen zu überprüfen und bei Bedarf Kundendossiers zu aktualisieren. Bitte senden Sie uns daher bis am 31.03.2022 eine vollständige Kopie (Vor- und Rückseite) Ihrer Schweizer Aufenthaltsbewilligung zu. Sollten Sie nebst der russischen Staatsbürgerschaft auch eine Schweizer oder EU Staatsbürgerschaft besitzen ist die Zustellung des Aufenthaltstitels nicht notwendig. Bitte senden Sie uns in diesem Fall stattdessen eine Kopie Ihres gültigen Aus­weisdokuments (ID/Pass Schweiz oder EU-Staat).

Vielen Dank für Ihre Mitarbeit.

35Bei Fragen sind wir gerne für Sie da.»

 (Die Schreibweise und Orthographie stammen von den Unterschriebenen – Anm. d. Autorin)

Die PostFinance hat sich mindestens darum bemüht, auf die konkrete gesetzliche Grundlage zu verweisen. Ich habe den betreffenden Art. 20 über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine sofort nachgeschlagen.

Art. 20 Abs. 1 der Verordnung vom 4. März 2022 über die Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine (SR 946.231.176.72; nachfolgend Verordnung) besagt: «Es ist verboten, Einlagen von russischen Staatsangehörigen oder in der Russischen Föderation ansässigen natürlichen Personen oder von in der Russischen Föderation niedergelassenen Unternehmen oder Organisationen entgegenzunehmen, wenn der Gesamtwert der Einlagen der natürlichen oder juristischen Person, des Unternehmens oder der Organisation pro Bank oder nach Artikel 1b des Bankengesetzes vom 8. November 19348 (BankG) bewilligte Person 100 000 Franken übersteigt.» Mit anderen Worten es ist einer Bank grundsätzlich verboten, eine Geschäftsbeziehung mit mir zu führen, wenn ich auf meinen Konten bei der Bank mehr als 100'000 Franken habe.

Gemäss Art. 20 Abs. 2 Bst. a der gleichen Verordnung gilt dieses Verbot nicht für Schweizer Staatsangehörige, Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union und natürliche Personen, die über einen befristeten oder unbefristeten Aufenthaltstitel der Schweiz oder eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verfügen.

Weder bei der einen noch bei der anderen Bank übersteigt die Summe auf meinem Konto 100'000 Franken. Zweifelsfrei ist daher, dass gemäss der Verordnung, auf die nur eine der beiden Banken verwiesen hat, kein Verbot besteht, eine Geschäftsbeziehung mit mir zu führen. Auch wenn ein solches Verbot bestünde, wäre in meinem Fall Art. 20 Abs. Bst. a der Verordnung anwendbar. Wenn eine Bank nicht weiss, wie viel ich auf dem Konto habe, mache ich grundsätzlich ein grosses Fragezeichen bzgl. Kompetenz der Bank.

Es bleibt nicht ganz nachvollziehbar, wieso sich die Banken plötzlich verpflichtet fühlen, von mir erneut einen Pass oder eine Aufenthalts- bzw. Niederlassungsbewilligung zu verlangen. Aus dem Wortlaut der erwähnten Bestimmung ergibt sich das definitiv nicht. Und beim Vertragsabschluss zur Kontoführung haben sie mich bereits identifiziert. Und die Bank, die die Vorder- und Rückseite meines russischen Passes sehen möchte, weiss ja schon, dass ich russische Staatsangehörige bin. Braucht sie eine Zusatzbestätigung?

Am 4. April 2022 habe ich ein weiteres Schreiben von der PostFinance erhalten. Mit diesem Schreiben forderte sie mich erneut auf, eine Kopie meiner gültigen Schweizer Aufenthaltsbewilligung oder eine Kopie eines gültigen Ausweisdokuments über eine Schweizer oder EU-Staatsbürgerschaft zu senden. Dieses Mal ohne Hinweis auf Art. 20 der Verordnung, schlicht «Aufgrund der Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine…». Am Ende schrieb sie: «Sollten wir bis zum erwähnten Datum von Ihnen keine Rückmeldung erhalten, so behalten wir uns unter Hinweis auf Art. 14 der Allgemeinen Geschäfts- und Teilnahmebedingungen von PostFinance vor, die Verfügbarkeit von Kontoguthaben und Dienstleistungen einzuschränken und die Geschäftsbeziehung mit Ihnen aufzulösen.»

Dazu ist anzumerken: Anfang März hatte ich einen Beratungstermin bei der PostFinance. Anlässlich dieses Termins hat die Bank zwei Mal meine Niederlassungsbewilligung überprüft und eine Kopie davon gemacht. Anlässlich des zweiten Schreibens der PostFinance habe die Kundenberaterin angerufen und sie hat mir bestätigt, dass in meinem Dossier keine Kopie abgespeichert wurde, weil das BackOffice – nach 36mehr als einem Monat – noch nicht dazu gekommen sei.

Aber zurück zu den AGB: Ich musste nachschlagen, was genau im Art. 14 der AGB der PostFinance steht. Zu meinem Erstaunen habe ich die folgende Klausel gefunden:

«Insbesondere kann PostFinance in solchen Fällen [zur Einhaltung oder Umsetzung gesetzlicher oder regulatorischer Vorschriften, internationaler Abkommen oder Sanktionen sowie Vereinbarungen von PostFinance mit Dritten] die Inanspruchnahme von Dienstleistungen und Produkten einschränken, Verfügungsmöglichkeiten ohne Angabe von Gründen beschränken, die Geschäftsbeziehung an eine zuständige Behörde melden oder aufheben sowie Konditionen anpassen, Zusatzaufwände in Rechnung stellen und/oder andere Massnahmen mit sofortiger Wirkung ergreifen.

Der Kunde ist verpflichtet, PostFinance auf Verlangen alle Auskünfte zu erteilen und mittels Dokumenten zu belegen, die sie benötigt, um den für sie geltenden gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben nachzukommen, oder die für die einwandfreie Geschäftsbeziehung notwendig sind. Der Kunde ist selbst dafür verantwortlich, die auf ihn anwendbaren gesetzlichen und regulatorischen Bestimmungen einzuhalten (z.B. die Pflicht zur Steuerdeklaration und -zahlung).» (Hervorhebungen durch die Autorin – Anm. d. Autorin)

M.a.W. kann die PostFinance gestützt auf diese Klausel von mir jegliche Auskunft verlangen, wenn sie es für nötig hält. Beispielsweise, wie viel Mal pro Woche ich ins Fitness gehe und dazu muss ich mein Fitness-Abo einreichen? Und wenn ich nicht bereit bin, diese Informationen preiszugeben, kann die Bank die Inanspruchnahme von Dienstleistungen und Produkten einschränken, Verfügungsmöglichkeiten ohne Angabe von Gründen beschränken und sogar den Vertrag mit mir kündigen. Wie das Schreiben der PostFinance plakativ darlegt, nimmt die Bank gerne diese Klausel in Anspruch, ohne sich gegenüber der Kundin verpflichtet zu fühlen, eine nachvollziehbare Begründung zu liefern.

Auf meine schriftliche Anfrage an die Raiffeisenbank Luzern – gestützt auf welcher konkreten gesetzlichen Grundlage im Zusammenhang mit den laufenden Sanktionen gegen Russland sich die Bank verpflichtet sehe, eine Kopie meines russischen Passes sowie Auskünfte über allfällige weitere Staatsbürgerschaften zu verlangen – habe ich am 6. April 2022 einen Anruf von der Bank erhalten, mit der Bitte eine Kopie meines russischen Passes zu schicken. Also, meinen internen russischen (!) Pass, in dem alles ausschliesslich auf Russisch steht und dessen Gültigkeit sich nur auf das Territorium von Russland erstreckt. Mir wurde eröffnet, dass man überprüfen müsse, dass ich nicht unter den Sanktionen stehe. Zwar sei die Bank der Meinung, dass dies nicht der Fall sei, aber trotzdem… Meinen Vorschlag, meinen Reisepass zu schicken, in dem meine persönlichen Daten auf Russisch und mit lateinischen Buchstaben transkribiert sind und der Gültigkeit ausserhalb von Russland hat, hat die Bank abgelehnt.

An dieser Stelle erscheint eine kurze Erklärung angebracht. In Russland gibt es zwei Arten von den Pässen: den sog. interner Pass für den Gebrauch innerhalb Russlands und den Reisepass, mit dem man sich im Ausland ausweisen kann. Dabei hat der sog. interne Pass keine Gültigkeit ausserhalb Russlands.

«Der Pass eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation ist das Hauptausweisdokument eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation auf dem Territorium der Russischen Föderation (im Folgenden als Pass bezeichnet).» (Punkt 1 der Regierungsverordnung RF vom 8. Juli 1997 N 828 (in der Fassung vom 15. Juli 2021) «Über die Genehmigung der Vorschriften über den Pass eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation, ein Musterformular 37und eine Beschreibung eines Passes einen Staatsangehörigen der Russischen Föderation.) (Hervorhebungen und Übersetzung vom Russischen durch Autorin)

Als Ausweisdokument im Ausland gilt nur ein Reisepass.

«Die wichtigsten Dokumente, die die Identität eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation bescheinigen, nach denen Staatsangehörigen der Russischen Föderation die Ausreise aus der Russischen Föderation und die Einreise in die Russische Föderation durchführen, werden anerkannt: [Reise]Pass; Diplomatenpass; Servicepass.» (Art. 7 Bundesgesetz Nr. 114-FZ vom 15. August 1996 [in der Fassung vom 4. März 2022] „Über das Verfahren zum Verlassen der Russischen Föderation und zur Einreise in die Russische Föderation“). Im originalen Gesetzestext geht es zwar um einen „Pass“ ohne nähere Präzisierung. Nach der systematischen und teleologischen Auslegung wird aber klar, dass es sich um einen anderen als den internen Pass handelt. Mit dem Dekret des Präsidenten der Russischen Föderation vom 21. Dezember 1996 N 1752 „Über die wichtigsten Dokumente zum Nachweis der Identität eines Bürgers der Russischen Föderation ausserhalb der Russischen Föderation" sind ein [Reise]Pass eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation, ein Diplomatenpass und ein Dienstpass, die die Hauptdokumente zum Nachweis der Identität eines Bürgers der Russischen Föderation ausserhalb der Russischen Föderation darstellen. Daraus ergibt sich, dass es sich im Gegensatz zu Punkt 1 der Regierungsverordnung RF vom 8. Juli 1997 (s. FN 1) um einen anderen Pass handelt, nämlich der Reisepass. Unter anderem, weil der erwähnte [Reise]Pass in der gleichen Reihe mit Ausweissdokumenten steht, die fürs Ausland bestimmt sind (Diplomatenpass, Dienstpass). (Hervorhebungen und Übersetzungen vom Russischen durch Autorin - Anm. durch Autorin).

Das alles habe ich versucht, der Raiffeisenbank Luzern zu erklären.

Während des Telefongespräches habe ich die Bank auch darauf hingewiesen, dass Art. 20 der Verordnung in casu nicht anwendbar ist und dass sich aus dem Wortlaut der Verordnung nicht ergibt, dass die Bank meinen russischen Pass verlangen sollte. Die Antwort war: Es handle sich um eine Formalität und es gebe tatsächlich keine gesetzliche Grundlage dafür. Erstaunt habe ich die freundliche Mitarbeiterin gebeten, mir dies schriftlich zukommen zu lassen.

Das folgende Schreiben ist bei mir am nächsten Tag eingegangen:

«Passkopie

Sehr geehrte Frau Korolevskaya

Gemäss unserem Telefongespräch von heute Nachmittag, 6. April 2022 teilen wir Ihnen wie gewünscht noch schriftlich mit:

-            Die Kopie Ihres russischen Passes dient der Einhaltung unserer Sorgfaltspflichten gemäss VSB

-            Sie dient der Sicherstellung, dass wir belegen können, dass Sie nicht unter die Sanktionen, die vom Bund gegen Russland erlassen wurden, fallen.

Bei weiteren Fragen oder Unklarheiten sind wir gerne für Sie da.»

Es wird auf «VSB» verwiesen ohne weitere Ausführungen. Gemäss Art. 4 der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (nachfolgend «VSB 20») ist die Bank ist verpflichtet, bei Aufnahme einer Geschäftsbeziehung den Vertragspartner zu identifizieren. Bei natürlichen Personen müssen auf geeignete Weise Name, Vorname, Geburtsdatum, Nationalität und die effektive Wohnsitzadresse 38festgehalten werden, ebenso die Mittel, anhand derer die Identität geprüft worden ist (Art. 7 VBS). M.a.W. muss eine Bank vor (!) dem

Haben die Banken damit gerechnet, dass das Wort «Sanktionen» heute genug Schrecken verbreitet, dass man alle gesetzlichen Grundlagen vernachlässigen darf?

Vertragsabschluss die potentielle Kundin identifizieren. Beide Banken wissen, dass ich russische Staatsangehörige bin. Mir ist keine andere Bestimmung in der VSB 20 ersichtlich, nach der bei den schon bestehenden Geschäftsbeziehungen die Identität des Vertragspartners zum zweiten Mal festgestellt werden sollte.

Die ganze Geschichte erweckt bei mir den Eindruck, dass sich die Banken entschieden haben, ein bisschen mehr Kundendaten zu sammeln, als sie dürfen (s. u.a. die Aufforderung, weitere Auskünfte über weitere Staatsangehörigkeiten zur Verfügung zu stellen). Die Sanktionen scheinen der perfekte Vorwand dafür zu sein. Haben die Banken damit gerechnet, dass das Wort «Sanktionen» heute genug Schrecken verbreitet, dass man alle gesetzlichen Grundlagen vernachlässigen darf? Oder haben sie gehofft, dass die Staatsangehörigen anderer Länder nicht fähig sind, die Schweizer Gesetze zu lesen und nachzuvollziehen? Oder weil die Bank einfach eine Klausel einsetzen kann, wonach der Kunde zu allem Möglichem verpflichtet ist, nicht aber die Bank.

Zusammenfassend: Eine gesetzliche Grundlage, wonach die Banken die bereits mit mir bestehenden Geschäftsbeziehungen überprüfen dürfen, ist nicht ersichtlich. Es scheint, dass der Vorgang eher dazu dient, bei allfälligen Anfragen der Aufsichtsbehörde Unterlagen zu liefen, die darlegen könnten, dass die Banken im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine etwas getan haben. Was genau sie getan haben und welche Ausweisdokumente diesem Zweck dienen, scheint dabei weniger relevant zu sein.

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Katja Korolevskaya
Bemerkungen im Zusammenhang mit den Sanktionen gegenüber Russland, ContraLegem 2022/1, 34-38
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